Requiem für eine Sängerin
Schuhabdrücke. Es könnte natürlich eine Frau mit Schuhgröße vierundvierzig gewesen sein, aber das halte ich für unwahrscheinlich.»
«Oder jemand, der Überschuhe trug, um seine wahre Schuhgröße zu verbergen?»
Der Mann von der Spurensicherung schaute betroffen drein. «Das wäre eine Möglichkeit, ja, aber dann wäre derjenige nicht sehr beweglich, und das muss der Täter gewesen sein.»
«Okay, ich möchte, dass Sie, wenn Sie hier fertig sind, zu dem Haus fahren. Ich habe das Gefühl, dass er dort gewesen ist. Irgendjemand war da – wir haben frische Schlammspuren auf dem Küchenboden. Überprüfen Sie alles , und ich meine alles, als wäre es der Tatort selbst. Wenn mich jemand braucht, ich bin bei dem Mädchen.»
Melanie saß zusammengekauert vor dem elektrischen Heizofen und hatte die Hände um eine Tasse mit gesüßtem Tee gelegt, der längst abgekühlt war. Der Hausmeister, der sich ebenso wichtig wie ratlos fühlte, scharwenzelte in einer Art und Weise um sie herum, dass sie ihn schon anschreien wollte, er solle sich endlich verziehen. Eine Polizistin war bei ihr und erzählte Fenwick, sie habe, seit sie die Schreckensmeldung überbracht hätte, kein Wort gesprochen. Fenwick schickte den Hausmeister weg, die Telefonnummer des Rektors zu besorgen, und wandte sich Melanie zu.
«Hör mir gut zu, Melanie!» Er sagte es in dem sanften Tonfall, in dem man nervöse Tiere beruhigt. «Bis jetzt warst du ein sehr tapferes Mädchen, aber jetzt musst du noch einmal tapfer sein. Du musst mir alles erzählen, was heute Abend passiert ist, ja?»
Als sie das hörte, drehte sie in einer stummen Weigerung den Kopf weg. Fenwick sah sie an und versuchte zu ergründen, wie er sie am besten zum Reden bringen konnte. Sie stand offenbar unter einem schweren Schock, schien aber nicht völlig fassungslos zu sein. Damit blieben ihm zwei Vorgehensweisen – zurückhaltendes Bitten oder strenges Fordern. Da er mit Ersterem angefangen hatte, beschloss er, dabei zu bleiben.
«Melanie, was du weißt, ist sehr, sehr wichtig. Dir kommt das vielleicht nicht so vor, aber du weißt vielleicht Dinge, die uns helfen können, den Täter zu finden. Du musst es versuchen.» Seine Worte schienen sie wachzurütteln.
«Ist sie tot?»
«Leider ja.»
«Sie muss tot dort gelegen haben, während Ron und – während wir … Es sei denn», ihr Gesicht nahm einen erschrockenen Ausdruck an, «es sei denn, er hat sie da reingejagt und getötet, während wir oben waren. Vielleicht hätten wir ihn aufhalten können!»
«Das finde ich nicht sehr wahrscheinlich, Melanie, aber um ganz sicherzugehen, solltest du mir alles erzählen, Schritt für Schritt; dann werden wir es herausfinden.»
Sie holte tief Luft, stellte die Tasse zur Seite und schob die Hände Schutz suchend in die Achselhöhlen. «Ron und ich waren im Pub.» Sie verstummte erschrocken, weil ihr plötzlich einfiel, dass er Polizist war und sie minderjährig; ein Vergehen, das sie in Anbetracht des schrecklichen Verbrechens vorübergehend vergessen hatte.
«Das macht nichts. Ich habe größere Sorgen als die, dass du in deinem Alter getrunken hast. Weiter.»
«Es ist mir peinlich. Können wir nicht einfach da anfangen, wo ich sie gefunden habe?» Fenwick schüttelte unerbittlich den Kopf.
«Ron war sauer auf mich. Na ja, eigentlich auf das Wetter. Wir gehen noch nicht lange miteinander, und … er, er …» – Fenwick weigerte sich, ihr aus der Klemme zu helfen –, «er war erregt, verstehen Sie, und weil es geregnet hat, konnten wir nicht wie sonst zur Pixts Lane runter.»
«Pixts Lane?»
«Der hiesige Teenagertreffpunkt, Sir», warf die Polizistin ein.
«Ich verstehe, und da hast du an die Schule gedacht, richtig?»
«An den Musiktrakt, ja. Ich hatte heute ein Fenster offen gelassen, für alle Fälle. Im Pub wollte ich eigentlich gar nicht mehr – aber Ron ließ nicht locker, er hat mich die ganze Zeit gedrängelt.»
Fenwick ging die ganze Geschichte mit ihr durch, bis er sicher war, dass er alle Einzelheiten richtig verstanden hatte. Trotz mehrerer Vorstöße weigerte sich Melanie, ihre Adresse und Telefonnummer preiszugeben oder ihre Eltern benachrichtigen zu lassen, und allmählich machte er sich Sorgen um sie.
«Rekapitulieren wir noch einmal. Du warst von etwa zwanzig nach fünf bis nach sechs mit Ron Jarvis im Pub. Ihr seid mit seinem Motorrad zur Schule gefahren. Auf dem Weg dorthin oder auf dem Schulgelände habt ihr niemanden gesehen. Ihr habt festgestellt,
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