Requiem für eine Sängerin
nur um seine Familie zu kümmern und die Ablenkung zu genießen.
Das Wetter meinte es gut mit ihnen, es war warm genug für den Strand oder ausgiebige Spaziergänge und Spiele auf den Kreideklippen. Fenwick entspannte sich, seine Mutter verfiel ab und zu in mädchenhaftes Kichern, die Kinder lebten auf. Bei Bess war es, als könnte man zusehen, wie ein Gänseblümchen sich morgens der Sonne öffnete und sich am Abend müde und glücklich wieder schloss. Bei Christopher war es anders. Zunächst schien keine Veränderung feststellbar, aber tief in seinem Innern fand doch eine statt; in seine beengte, monochrome Welt kam wieder Farbe. Es fing an mit Gesprächen mit Bess, dann kam die simple Freude, wenn Wellen und Gischt Kopf, Arme und Zehen benetzten. Als Fenwick zum zweiten Mal zu ihnen stieß, ließ sein Sohn sich schon wieder berühren und kurz liebkosen. Die Anspannung war noch da, aber man spürte, wie er darum rang, sich davon zu befreien.
Zwei Tage bevor Fenwick wieder zum Dienst musste, fand er Christopher bäuchlings auf dem Bett liegend, wo er so heftig schluchzte, dass der ganze Holzrahmen erbebte. Zuerst war der Vater erschrocken, niedergeschmettert und vollkommen ratlos. Er wollte das Kind in die Arme nehmen, an sich drücken, es trösten, bis der Schmerz nachließ, hatte aber zu große Angst, es falsch zu machen. Als er es nicht mehr ertrug, setzte er sich zaghaft auf die Bettkante und nahm den Jungen auf den Schoß.
Die Worte trafen Fenwick wie Granatsplitter: bruchstückhafte Erinnerungen an Abneigung und kleinere Gemeinheiten im Endstadium der Krankheit seiner Mutter, das tief verwurzelte Gefühl, dass alles irgendwie seine Schuld sei, und, am schlimmsten, dass sein Daddy ihn hasste und ihm nie verzeihen würde.
Fenwick wiegte das Kind einfach, schweigend, weil er fürchtete, seine erstickte Stimme könnte Verwirrung und Schmerz noch verschlimmern. Tränen liefen ihm über die Wangen und fielen in das lockige blonde Haar des Jungen. Schließlich blickte Christopher erschrocken auf.
«Daddy, du weinst. Warum? Bitte nicht, es tut mir Leid.»
Die nächste halbe Stunde unterhielten sich Vater und Sohn – manchmal ruhig, manchmal unter Tränen. Fenwick spürte, wie sein Familiensinn und sein Verantwortungsgefühl die Oberhand gewannen und wuchsen, was ihn erschöpfte, aber seine Zuversicht stärkte. Sein Sohn war am Boden zerstört, verletzt, hatte unter der Krankheit seiner Mutter mehr gelitten, als sie alle sich vorstellen konnten. Er hatte mehr mitbekommen, als ihnen bewusst gewesen war, und hatte sich mit dem begrenzten Verständnis eines Kindes seine eigene verzerrte Version der Ereignisse zusammengereimt.
Zweifel und Abscheu vor sich selbst waren wie ein Krebsgeschwür in dem Jungen gewachsen und verzehrten ihn mit dem Gift der Schuld. Es würde lange dauern, diesen Schaden behutsam zu beheben. Vielleicht blieben für alle Zeiten Narben zurück. Aber damit wurde Fenwick fertig. Es war eine Herausforderung, der er sich mit Hilfe der Experten stellen würde, so lange es eben dauerte.
Die Sonne näherte sich dem Meer, als die beiden zu einem Spaziergang aufbrachen. Andere Familien tummelten sich noch am Strand und genossen die letzte Wärme des Tages, aber das Meer, das glänzte wie ein Gazeschal, in den langsam das Wachs der untergehenden Sonne schmolz, war ganz allein für sie beide da. Christopher ließ die Hand seines Vaters ab und zu los, forderte die Wellen heraus, kam kreischend und fröhlich und außer Atem zu seinem Vater zurückgerannt und umarmte dessen Knie. Zum ersten Mal seit vielen Monaten war Fenwick wirklich glücklich.
Auf dem Weg zurück zum Ferienhaus kaufte er eine Lokalzeitung, die erste seit Beginn der Ferien, und legte sie prompt wieder beiseite, als es darum ging, vor dem Zubettgehen noch ein letztes Spiel mit den Kindern zu spielen. Am nächsten Tag trank er vor dem Essen einen vorzüglichen Malzwhiskey, las die Zeitung und merkte, wie seine Perspektive zurechtgerückt wurde. Es konnte nicht nur Schlechtes geben auf der Welt, wenn ein Artikel über entlaufene Ponys es auf Seite eins schaffte. Bedauerlicherweise kündeten die anderen Artikel von einer traurigeren Welt.
Ein Mann Anfang zwanzig war verhaftet worden, nachdem er einen Gastwirt mit einem Messer bedroht hatte, «das er noch aus der Armeezeit hatte». Es folgten eine sensationsheischende und detaillierte Beschreibung der Waffe sowie das Foto einer vergleichbaren Klinge. Obwohl in Ferienstimmung, musste
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