Requiem fuer einen Henker
darunter auch das, was Metzger als Volltreffer erkannte. Übrigens war Mente ein Mann, der Terroristen nicht sehr ernst nahm. Er hatte in einem SPIEGEL-Interview erklärt: >Falls es mich erwischen sollte, gibt es in meiner Umgebung zehn Leute, die sofort meinen Platz einnehmen können.< Na ja, der Bekennerbrief der Action Directe wurde schon eine Stunde später der Frankfurter Rundschau zugestellt. Die Franzosen schrieben, sie hätten den Genossen von der RAF ein Geschenk gemacht. Der Bote verschwand und konnte nie identifiziert werden.«
»Menschenskind, nun sag schon, was genau auf dem Foto ist. Du weißt doch, dass ich es mir bei Claudia nur betont flüchtig anschauen konnte.«
»Also, stell dir Folgendes vor: Die Straße, von der die Stichstraße abzweigt, ist noch eben rechts oben im Foto zu sehen. Die Stichstraße zieht sich ziemlich genau waagerecht durch die Bildmitte. In der Bildmitte selbst liegt das Wrack des BMW, vollkommen zerfetzt. Rechts davor stehen die Überreste des Baumes, an dem die Bombe befestigt worden war. Der Baum ist gut dreißig Zentimeter dick und in einem Meter Höhe glatt abgerissen. Im Vordergrund links sieht man die Reste einer alten Gartenmauer, davor eine Gruppe uniformierter und ziviler Beamter in heftiger Diskussion. Vor dem Wrack, also rechts von dieser Polizistengruppe, liegt der Fahrer auf dem Bauch. Links von ihm liegt die Leiche von Professor Mente unter einer Wolldecke. Die Aufnahme muss relativ kurz nach dem Attentat geschossen worden sein, denn rechts von dem Baum sind zwei Polizisten dabei, diese rotweißen Plastikstreifen, mit denen man einen Unfallort absperrt, von einer Rolle abzuwickeln. Hinter dem Wrack hocken drei Fotografen auf einer Gartenmauer und fotografieren die Szene …«
»Lieber Himmel, wo ist Lewandowski? Das ist der einzig wichtige Punkt.«
»Langsam, langsam. Du bist doch derjenige, der immer auf höchste Präzision achtet.«
»Wo ist Lewandowski?«
»Hast du das Bild noch im Kopf?«
»Ja. Mach weiter!«
»Also: Im Vordergrund, etwa zehn Meter von der Kamera entfernt, stehen zwei Männer. Sie stehen beide seitlich zur Kamera, der Mann links mit abgewandten Kopf. Er blickt auf das Fahrzeugwrack. Dieser Mann ist jung, ich würde sagen: Um die dreißig. Er trägt Jeans über weißen Turnschuhen. Eine weiße Windbluse. Hellblonde Haare, gestuft geschnitten. Er spricht mit Lewandowski. Der steht nämlich rechts von ihm, hat beide Hände in den Taschen seines Trenchcoats, den Kragen hochgeschlagen. Er trägt eine schwarze Baskenmütze.«
»Wie sieht sein Gesicht aus? Gespannt? Erregt?«
»Nicht die Spur von Aufregung. Ein leichtes Lächeln, als würde er all den Polizisten sagen wollen: Regt euch nicht auf, ihr löst das Rätsel doch nicht! Er wirkt vollkommen entspannt.«
»Muss das ein eiskalter Hund gewesen sein. Und was hat es ihm schließlich genützt? Na ja, was hast du weiter?«
»Also, zum Ableben des fünfundfünfzigjährigen Abgeordneten der CDU Rolf Schmitz-Feller, zehn Tage später, am 20. Mai. Kennst du Kalifornien?«
»Was hat das damit zu tun?«
Sie lachte. »Das ist ein Teil des Ostseestrandes an der östlichen Kante der Kieler Bucht. Das ganze Gebiet heißt Schönberger Strand, die zugehörige Gemeinde Schönberg. Dort hatte die CDU ein Treffen mit sehr viel Prominenz, sogar der Bundeskanzler war da. Schmitz-Feller auch. Was er dort zu suchen hatte, ist nicht ganz klar. Erinnerst du dich, wie eine Kieler Werft den Südafrikanern ein paar Kisten Blaupausen schickte, damit die echte deutsche U-Boote bauen konnten? Schmitz-Feller saß im sogenannten U-Boot-Ausschuss. Auf dem Rüstungssektor war er ein Ass, aber er passte der eigenen Partei nicht in den Kram. Er war nämlich für einseitige Abrüstung. Als ihm seine Leute vorwarfen, er übernehme Positionen der Sozialdemokraten und der Grünen, antwortete er: >Das ist mir scheißegal. Solange sie vernünftig sind.< So fing alles an. Hörst du mir noch zu?«
»Aber ja. Wie weit liegt Schönberg von der Grenze zur DDR entfernt?«
»So etwa siebzig bis hundert Kilometer bis zur Ostsee nach Lübeck oder bis zur Landesgrenze jenseits der Lübecker Bucht. Na ja, das nützt ihm jetzt alles nichts mehr. Also, zehn Tage nach Mentes Tod, ein Mittwoch. Das Treffen der CDU hatte am Freitag begonnen. Die Prominenz war am Sonntag schon verschwunden; Schmitz-Feller war dageblieben, um ein paar Tage Urlaub zu machen. Sein Wahlkreis ist Mannheim. Für seine Kurzferien hatte er sich in einem kleinen
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