Requiem fuer einen Henker
Kaffee serviert, obwohl sie keinen Schluck davon trinkt. Zuweilen sagt sie etwas, Dinge wie >Er war doch so zuversichtlich!< oder >Er war doch nie krank!<. Dann wieder versucht sie Halt bei den praktischen Fragen zu finden, will wissen: >Ist eigentlich der Safekoffer meines Mannes wieder aufgetaucht? Ein schwarzer Safekoffer?< Eine Frau, die noch lange nicht wird begreifen können, wie ihre Welt so zusammenbrechen konnte; eine Frau, deren Verlust von vielen mitempfunden wird. Der aber niemand wirklichen Trost wird spenden können. Und so weiter und so weiter.«
»Du hast recht, die Sache mit diesem Koffer könnte etwas bringen«, sagte ich.
»Und wie gehen wir jetzt vor?«
»Ruf diese Kollegin an, hol sie aus dem Bett.«
»Und was ist, wenn Beck dieses Telefon abhört?«
»Mir ist das mittlerweile völlig egal. Er weiß ja sowieso, dass wir recherchieren.«
Sie hockte sich auf die andere Seite des Bettes und begann zu telefonieren. Es dauerte eine Weile, ehe sie die Nummer der Frau hatte. Dann war sie erstaunlich schnell am Apparat, und die Baronin erklärte ihr, wir machten eine Reportage über politische Attentate. Dann fuhr sie fort: »Sie schreiben sehr gut über den Tod von Schmitz-Feller. Sie erwähnen da diesen Safekoffer. Ist der eigentlich jemals wieder aufgetaucht? - Nicht? Aber er existierte wirklich? - Ja, gut. Ich danke Ihnen sehr.« Sie legte auf. »Den Koffer hat man nie gefunden. Ein großer Metallkoffer, mit schwarzem Leder überzogen.«
»Den werden wir auch nicht finden. Aber sein Verschwinden passt ins Bild.«
»Glaubst du denn, dass wir überhaupt jemals stichhaltig beweisen können, dass Lewandowski der Henker gewesen ist? Die Tatsache, dass er auf den Fotos ist, beweist doch an sich gar nichts.«
Ich hatte enorme Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Mein ganzer Körper fühlte sich an wie nach einem schweren Verkehrsunfall. Dabei hatten die beiden mich gar nicht richtig in die Mangel genommen. Ich musste mich mehr zusammenreißen. »Sieh mal, es ist doch verblüffend, dass Lewandowski und der Junge auf beiden Fotos sind. Das beweist, dass sie praktisch zur Tatzeit am Tatort waren, oder? Wir sollten lieber gleich zum Kern der Sache vordringen: Wieso hat Lewandowski Professor Mente und den Abgeordneten Schmitz-Feller umgebracht?«
»Weil sie etwas verraten haben? Nein, das hätte wenig Sinn gehabt. Wohl eher, weil sie etwas verraten wollten.«
»Und wenn wir wissen, was das war, dann können wir schreiben.«
»Nicht ganz, mein Lieber«, widersprach sie. »Wir sollten vorher eben noch klären, wer Lewandowski getötet hat, wer dieser Mann neben ihm ist, wer Metzger tötete und wer Guttmann, wer diese Ellen Strahl ist und noch so ein paar Kleinigkeiten. Im Grunde wissen wir nämlich noch gar nichts.«
Ich wollte ihr gerade sagen, dass wir vielleicht nur deshalb noch am Leben waren, als jemand an unsere Zimmertür klopfte.
»Das wird der Bundesanwalt Beck sein, um uns zu kassieren«, sagte ich. »Diese Leute kommen immer am frühen Morgen.«
Die Baronin öffnete zögernd die Tür. Draußen stand der Sohn von Anna Guttmann, den wir nur betrunken erlebt hatten. Er lächelte scheu und murmelte: »Entschuldigen Sie die Störung, ich soll das hier von meiner Mutter abgeben.« Er hielt der Baronin ein Kuvert hin. Dann sah er mich auf dem Bett und fragte erschreckt: »Hatten Sie einen Unfall?«
»So etwas Ähnliches«, sagte ich. »Vielen Dank. Wann ist die Beerdigung?«
»Übermorgen«, sagte er tonlos, drehte sich herum und verschwand den Flur hinunter. Die Baronin riss das Kuvert auf.
»Es ist ein Schlüssel«, sagte sie erstaunt. »Nur ein normaler Sicherheitsschlüssel. Kein Zettel, keine Erklärung.«
»Steht DOM drauf?«
»Ja«, meinte die Baronin verblüfft.
»Den Schlüssel hatte ich vollkommen vergessen. Du lieber Himmel, der Guttmann war schon ein raffinierter Hund.«
»Wovon redest du überhaupt?«
»Der tote Lewandowski hatte diesen Schlüssel in der Tasche. Guttmann muss ihn absichtlich unterschlagen haben.«
»In welches Schloss passt er?«
»Das weiß ich nicht.«
»Na, das hilft uns vielleicht weiter! Was machen wir jetzt?«
»Wir ruhen uns ein paar Stunden aus, dann gehen wir ernsthaft an die Arbeit. Ich weiß auch schon genau, wo wir ansetzen werden.«
In Wirklichkeit war ich nicht halb so zuversichtlich, wie ich tat. Ich hatte Angst: Angst um die Baronin, Angst um mich. Und ich begann diese Stadt zu hassen, diese Noch-Hauptstadt, die so provinziell wirkte
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