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Requiem fuer einen Henker

Requiem fuer einen Henker

Titel: Requiem fuer einen Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Obwohl ich die Antwort schon kannte, versuchte ich es mit einer letzten Frage: »Was ist mit der Bundesbahnfahrkarte nach Basel?«
    Die Antwort kam viel zu schnell: »Die hat er entweder gefunden oder geklaut.«
    »Na, sicher doch«, sagte ich und hängte ein.
    Wenig später schellte es, und Opa Fahsen stand in der Tür. Er ist fünfundachtzig und zieht nur noch von Tür zu Tür, um Guten Morgen zu sagen und das Leben aufregend zu finden.
    »Junge«, schniefte er asthmatisch, »ich komme hier vorbei und denke, der Baumeister Siggi macht doch immer so ‘nen prima Aufgesetzten aus Schlehen. Und den trinkt er nicht mal selber!« Er grinste mit einem verfaulten Zahn und sah aus wie ein Ungeheuer aus mittelalterlichen Alpträumen.
    »Komm rein«, sagte ich. »Ich bin nicht rasiert, nicht gewaschen und nicht angezogen. Aber ich denke, mein schöner Geist ist auch genug.«
    »Bestimmt«, sagte er etwas verständnislos und schlurfte mit seinem Haselnussstock durch den Flur. »Es ist so gemütlich bei dir, wenn das Feuer brennt. Haste genug Holz und Kohlen?«
    »Hab’ ich. Willst du den Aufgesetzten kalt oder stubenwarm?«
    »Stubenwarm ist besser für ‘nen alten Magen. Junge, wenn ich dran denke, wie wir mal im Krieg mit zehn Mann nichts zu fressen hatten, aber hundert Pullen Korn.« Er kicherte in sich hinein. »Da kam der Kommandeur und wunderte sich, dass wir alle besoffen waren. Eine Stunde später war er selber hackevoll und tönte rum, Hitler hätte den Krieg längst verloren. Solche Bemerkungen gingen damals nur besoffen. Das war vierundvierzig, als die Amis uns jeden Tag Feuer unterm Hintern machten.«
    »Hast du eigentlich irgendwelche Orden mit nach Hause gebracht?«
    Er sah mich kurz und scharf an, starrte aus dem Fenster und nickte bedächtig. »Klar, wer hat das nicht? Ich habe meine Metallsammlung neunundvierzig gegen zwei Zentner Kartoffeln getauscht. Bei einem Mann, der später bei uns Landrat wurde. War ein gutes Geschäft damals. Kennst du eigentlich die Methode mit den Tannentrieben?«
    »Nein, kenne ich nicht.«
    »Also, du nimmst soliden Achtunddreißigprozentigen und tust so im März, April frische Tannentriebe rein. Drei, vier Stück, nicht mehr. Und weißen Kandis dazu, aber nicht zu viel. Drei Monate später hast du eine feine Sache. Ach so, du trinkst ja gar nicht.«
    »Ich kann das aber für dich machen«, sagte ich. »Du, dein Orden hat mich auf was gebracht. Weißt du noch, wann dieser Nikolaus Bremen in Bonn sein Bundesverdienstkreuz gekriegt hat?«
    »Tja. Ihr seid ja damals alle mitgefahren, du hast fotografiert. Muss August gewesen sein, August siebenundachtzig. Wieso meine Orden?«
    »Nicht wichtig«, murmelte ich, »war nur so eine Idee.« Dann wurde ich unruhig, aber ich konnte ihn nicht hinauswerfen. Er hätte auch gar nicht begriffen, dass ich zu arbeiten hatte. Eine halbe Stunde später schlurfte er genauso selbstverständlich, wie er gekommen war, wieder davon, und ich stürzte mich erneut auf mein Tagebuch. Diesmal fand ich sofort, was ich suchte.
    Am 3. August 1987 waren wir mit sechs Autos aus unserem Dorf nach Bonn gefahren, um dabei zu sein, wie Nikolaus Bremen sein Verdienstkreuz bekam. Der Landwirtschaftsminister wollte es ihm persönlich überreichen. Natürlich, das war es.
    Acht oder zehn Bauern waren dort gewesen, mit all ihren Verwandten und Freunden. Insgesamt zwanzig Frauen und Männer waren ausgezeichnet worden. Es war feierlich und zugleich familiär zugegangen, eine jener Ordensverleihungen, wie sie in Bonn jede Woche vorkommen und von denen in der Regel außer den Beteiligten niemand Notiz nimmt.
    Nikolaus hatte mich gebeten zu fotografieren, und Wilhelm, sein Sohn, hatte die ganze Sache auf Band genommen. Ich rief ihn an. Langsam erwachte in mir das Jagdfieber. »Wilhelm, Siggi hier. Du hast doch damals, als wir wegen des Verdienstkreuzes in Bonn waren, die Rede aufgenommen und alles, was der Minister sonst noch gesagt hat. Hast du das Band noch?«
    »Das hat mein Vater. Wenn er was getrunken hat, lässt er es laufen und brüllt, dass er dem Scheißminister den Scheißorden zurückbringt. Wieso?«
    »Ich würde mir das Band gerne überspielen. Ich will nur hören, wie so ein Minister redet.«
    »Ich bringe es vorbei«, sagte er und hängte ein.
    Die Filme, die ich damals aufgenommen hatte, lagen noch in meinem Archiv. Die farbigen waren damals entwickelt worden, die schwarzweißen nicht. Nach einer Stunde hatte ich die wichtigsten Negative entwickelt und

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