Requiem fuer einen Henker
»Pjotr, Sie sind ein Arschloch«, aber er ließ mich einfach stehen.
Ich hatte ein paar Minuten, um zur Besinnung zu kommen. Pjotr hatte Recht, weil wir diese Welt nicht wahrhaben wollten, in der wir uns bewegten. Seit wir an der Lewandowski-Sache dran waren, hatten wir einfach die Augen geschlossen und so getan, als könnten wir uns unsere kleine, private Idylle leisten. Und jetzt war die Baronin verletzt!
Pjotr kam zurück und sagte ziemlich barsch: »Probieren Sie aus, ob Ihr Wagen noch fährt!«
Ich ging zu meinem Auto, fummelte die verbeulte Tür auf und manövrierte den Wagen auf die Straße. Auf den Sitzen lagen überall Scherben, aber die Frontscheibe auf meiner Seite war heilgeblieben, und technisch schien alles soweit in Ordnung.
Vor mir führte ein Mann die Baronin zu einem der Laster. Sie war leichenblass, hielt sich aber tapfer und winkte mir noch einen Abschiedsgruß zu. Pjotr beugte sich zu meinem Fenster herunter und sagte etwas freundlicher. »Wir haben sie verarztet und setzen sie in Bonn bei Anna Guttmann ab. Sehen Sie zu, dass Sie das Wrack loswerden, und kommen Sie nach.«
»In Ordnung. Trotzdem wüsste ich noch gerne, was genau eigentlich passiert ist.«
Er sah mich an, als habe er noch nie einen derartigen Trottel gesehen. Dann sagte er ungeduldig: »Reimer und Strahl haben endlich begriffen, dass Sie beide alles wissen. Sie haben das nächste Flugzeug genommen, sind hergekommen und haben das Logischste getan, was Jäger tun können: Sie haben sich an einem Punkt auf die Lauer gelegt, an dem Sie vorbeikommen mussten. Das war abzusehen. Leider sind sie mit zwei Autos gekommen, und als wir dachten, wir hätten sie, sind sie in den zweiten Wagen gesprungen und abgehauen. Sie sind eben Profis. Nur sind sie jetzt außer Kontrolle mit ihren Wildwest-Hirnen.« Er schnaufte, drehte sich um und ging davon. Sekunden später fuhren die Laster ab.
Der Schnee fiel sanft, ich hockte in dem eiskalten, zugigen Wagen und starrte in die Dunkelheit über den Hügeln. Ich weiß nicht, ob ich mich je in meinem Leben elender gefühlt habe.
Irgendwann fuhr ich heim. Im Dorf war es weiß und still, und ich registrierte desinteressiert, dass Pjotr zwei Wachen aufgestellt hatte. Gleich neben der Scheune stand ein Wagen, hinter dem Garten ein zweiter, beide besetzt mit jeweils zwei Männern.
Krümel kam mir maunzend entgegen, und ich sagte mit einem ganz schlechten Gewissen: »Ich sehe mir deine Kinder später an. Ich muss weg, ich habe ziemlichen Mist gemacht.« Aber dann sah ich mir die Jungen an, alle vier, nahm sie auf den Arm, streichelte die stolze Mutter und fühlte mich ein bisschen besser.
Dann rief ich Anna Guttmann an. »Gleich kommt Pjotr und bringt Ihnen die Baronin. Passen Sie auf, dass sie nicht das Haus verlässt, nicht einmal, um eine Zeitung zu kaufen …«
»Und Sie, was machen Sie?«
»Ich habe noch etwas zu erledigen. Entschuldigen Sie den späten Anruf.« Schon hatte ich wieder aufgelegt.
Ich packte hastig ein paar frische Sachen ein, dann lief ich wieder hinaus. Krümel drückte sich schmal und traurig an der Haustür herum - wenigstens bildete ich mir das ein. Ich fuhr los, und Pjotrs Wächter folgten mir nicht.
Ich nahm die Bundesstraße zur Autobahn nach Köln und hoffte inständig, dass AVIS am Flughafen einen Nachtdienst hatte und dass mich nicht irgendein eifriger Polizist anhielt. Ich stellte meinen zerschossenen Wagen auf einen leeren Parkplatz in die hinterste Ecke. AVIS hatte tatsächlich offen, und ich mietete einen Corsa. Erst jetzt konnte ich ein wenig durchatmen. Ich hockte in dem Mietwagen. Es galt nur noch, das Leben der Baronin zu bewahren und mein eigenes natürlich. Es durfte nicht mehr geschehen, dass ich die Realitäten ignorierte. Ich musste mich dem Kampf stellen - aber auf meine Weise. Ich war ein guter Journalist, und ich musste jetzt besser funktionieren als je zuvor. Denn nur so hatten wir eine Chance.
Es gab zwei Ansatzpunkte, die ich durchdenken musste. Pjotr hatte berichtet, dass der Gruppe bei einem Auftrag in Zürich eine Aktentasche in die Hände gefallen war, die man wenig später im Verteidigungsministerium ihrem Besitzer zurückgegeben hatte. Konnte ich damit rechnen, im Ministerium jemanden zu finden, der Bescheid wusste? Wohl kaum; dort würde niemand etwas von einem Henker wissen. In diesem Ministerium war Geheimhaltung oberstes Gebot. Verdammt, ich hatte keine Zeit.
Die zweite Idee: In dem kurzen Lebensabriss des Alfred Lewandowski war mir
Weitere Kostenlose Bücher