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Requiem fuer einen Henker

Requiem fuer einen Henker

Titel: Requiem fuer einen Henker
Autoren: Jacques Berndorf
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einer dieser Momente, die traurig sind und schön und so flüchtig, dass sie schon vorüber sind, wenn man erkennt, wie wichtig sie waren.
    Ich musste mich mit einer großen Willensanstrengung lösen. Wenn ich ganz konzentriert war und schnell, dann hatten wir immer noch eine Chance.
    »Warte bitte noch einen Moment auf mich. Ich bin sofort zurück.«
    Die Baronin sah mich fragend und etwas verletzt an, sagte aber nichts. Ich lief über den nassen Parkplatz zum Telefon zurück. Pjotr war sofort am Apparat.
    »Ich berichte Ihnen später, was los war. Sagen Sie mir jetzt nur, ob ich mit der Baronin in die Eifel fahren kann.«
    »Das müsste gehen. Ich schicke Ihnen für alle Fälle ein paar Babysitter. Aber melden Sie sich schleunigst bei mir!«
    Ich legte auf, ohne noch etwas zu antworten. Ich wollte mich nicht mit ihm streiten; ich brauchte ihn. Draußen war es kalt und windig. Zuweilen trieben ein paar Schneeflocken durch die Luft, und vom See her kamen feine Nebelschwaden gegen den Wald gezogen. Diese Welt war ganz still, und die Weiden unten am Ufer wirkten wie ihre Wächter.
     
    15. Kapitel
     
    In der Eifel kümmerten wir uns zuerst um Krümels Junge. Wir packten sie in einen frischen Pappkarton, den die Baronin mit alten Handtüchern auslegte, und stellten das Ganze in eine warme Ecke. Zwei von den vier hatten schon ein Auge auf, und es sah rührend aus, wie sie augenzwinkernd diese Welt betrachteten. Krümel war längst nicht mehr beleidigt; sie legte sich für einen Moment schnurrend neben mich, ehe sie sich zu ihren Jungen begab und sie trinken ließ. Es ist fast so, als hätte alles wieder seine Ordnung, dachte ich, als ich mich hinlegte. Aber ich wusste, die Ruhe trog.
    Als ich morgens um sechs Uhr aufwachte, saß die Baronin im Morgenrock am Schreibtisch und telefonierte mit ihrer Mutter. Ich hörte nur noch: »… ach, ich glaube, ich könnte hier schon eine Weile leben. Aber es ist ja gar nicht sicher, dass ich schwanger bin.« Ich ging so, wie ich war, in den Garten hinaus, stapfte im diesigen Licht durch den nassen Schnee und atmete den Duft der feuchten Erde ein. Fast roch es schon nach Frühling. Die alte Brombeerranke in einem Winkel hinter der Birke, im Windschatten zweier Blöcke aus Rotsandstein, hatte schon helles, frisches Grün getrieben. Es war schön, wieder zu Hause zu sein, auch wenn Pjotrs Männer auf ihren Posten waren und wirkten wie eine Palastwache.
    Als ich wieder nach drinnen ging, erwartete mich die Baronin schon mit frischem, dampfendem Kaffee. »Was machen wir heute?«, fragte sie unternehmungslustig. »Du bleibst hier; wir müssen uns für Pjotr bereithalten. Ich fahre nach Bonn und kümmere mich um die Penner.«
    Sie maulte ein wenig, aber ich fand einen Weg, sie zu versöhnen.
    Ich fuhr mittags los. Im Stadthaus in Bonn musste ich eine Weile suchen, aber schließlich saß ich einer älteren Frau mit Stahlbrille gegenüber, die mir erklärte, sie kenne jeden Penner zwischen Koblenz und Köln.
    »Ich bin Redakteur und möchte das Leben dieser Menschen beschreiben. Ich suche einen Bonner Penner, falls es so etwas gibt.«
    »So etwas gibt es.« Sie lächelte verbindlich. »Sie wollen sicher einen intelligenten, auskunftsfreudigen Vertreter der Zunft. Ich habe eine Kasse für meine Leute. Sagen wir, einhundert Mark?« Sie sah mich so selbstverständlich an, als hätte ich keine andere Wahl. »Gut, einverstanden. Wie heißt der Mann?«
    Sie lächelte nachsichtig. »Wichtiger ist, wo er steckt. Es geht um den Harmonika-Karl. Er wird jetzt bei den Barmherzigen Schwestern sein und eine Suppe fassen. Er heißt so, weil er immer eine alte, rostige Mundharmonika dabei hat. Bestellen Sie ihm, Sie kommen vom Boss, und er soll sich anstrengen.«
    Die Barmherzigen Schwestern residierten in der Nähe des Klosters Mariahilf in Bonn-Lengsdorf, und die Schwester Oberin, zu der ich geführt wurde, erklärte resolut: »Junger Mann, die Leute essen gerade, und sie haben ein Recht auf ihr Essen. Wir wollen sie doch nicht stören. Sie müssen also ein bisschen warten.« Dann schenkte sie mir einen jener unnachahmlich katholischen Blicke, die einen bis auf die Knochen zu durchschauen scheinen, zugleich aber milde Absolution für das verheißen, was da an Verderbtem offenbar wurde.
    Ich war zwar finanziell allmählich ziemlich am Ende, aber irgendwie hatte ich meinen karitativen Tag. Jedenfalls legte ich ihr einen Hunderter auf den Schreibtisch und murmelte: »Hier, ein kleiner Beitrag für die
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