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Requiem fuer einen Henker

Requiem fuer einen Henker

Titel: Requiem fuer einen Henker
Autoren: Jacques Berndorf
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Suppenküche.«
    Sie strahlte und sagte: »Wissen Sie, Bonn ist eine Ansammlung von Gruppen und von Einzelnen, die nichts anderes tun, als unentwegt die Hand aufzuhalten. Die Stahlkocher halten die Hand auf, die Bauern halten die Hand auf, die Sudetendeutschen halten die Hand auf. Jeder hat seinen Abgeordneten, nur meine Penner haben keinen. Da muss man sehen, wie man zurechtkommt.«
    »Kommen Sie zurecht?«
    »O ja, eigentlich schon. Ich bettele ja auch gut. Für die Suppe reicht es immer.«
    Sie verschwand und kam nach fünf Minuten mit einem Mann zurück, der fatal an Jack Nicholson in Shining erinnerte - nur zwei Jahrzehnte älter. Er war schmal, hager, und hatte lange, wirre, graue Haare. Er mochte vielleicht einen Meter achtzig groß sein, trug keinen Bart, und seine Kleidung war reinlich und einigermaßen ordentlich. Sein Gesicht war ungesund rot, eine Landschaft, die deutliche Spuren nicht mehr gutzumachender Verwüstung zeigte.
    »Ich soll schöne Grüße vom Boss bestellen«, sagte ich.
    Er sah mich an; er wirkte ziemlich mürrisch. »Sie haben sicher schon gelöhnt. Wie viel?«
    »Einen Blauen.«
    »Und hier?« Er wusste Bescheid.
    »Auch einen Blauen.«
    Die Schwester Oberin war leicht verlegen.
    »Dann koste ich den dritten«, sagte er ruhig. »Es ist nämlich so, dass alle ihren Schnitt machen, wenn ich Interviews gebe. Und ich will auch was vom Kuchen.« Er stand da und wippte leicht in den Knien.
    »Einverstanden«, sagte ich. »Können wir irgendwo in Ruhe sprechen?«
    »Erst löhnen«, sagte er. Er sprach aus Erfahrung, und er würde sich nicht vom Heck rühren, ehe er sein Geld nicht hatte.
    Ich gab es ihm, und er steckte es so lässig in die Brusttasche seines Jacketts, als ginge er tagtäglich mit solchen Summen um.
    »Jetzt zum Thema«, sagte er. »Wenn es um bestimmte Abgeordnete geht, die man nachts irgendwo sieht, geht das in Ordnung. Wenn es um mein Leben geht, wo ich schlafe, meine Suppe kriege und so, wieso ich Penner bin: Das ist auch normal. Es gibt aber auch kitzlige Themen.«
    »Ja, und?«
    Er sah mich an. »Ich will nur klarstellen, dass ein kitzliges Thema noch einen Blauen kostet.«
    Ich gab ihm widerstrebend einen zweiten Hundertmarkschein. »Jetzt aber los, und du musst wirklich etwas bringen für dein Geld.«
    »In Ordnung«, sagte er und grinste. Er hatte vorne sogar noch ein paar eigene Zähne.
    Wir gingen hinaus. Es hatte zu regnen begonnen. Er schlug den Kragen seines Jacketts hoch und schritt kräftig aus, ohne sich umzusehen. Ich hatte Schwierigkeiten, mit ihm Schritt zu halten, und kam mir ziemlich dumm vor. Was, wenn Karl nun nichts wusste? Das Geld war dabei meine geringste Sorge - mir blieb nicht mehr viel Zeit.
    Mein Tippelbruder führte mich eine lange, trostlose Straße hinunter, dann in eine heruntergekommene Einkaufsstraße, in der alle Geschäftstüren zu gähnen schienen. Er steuerte auf einen Kiosk zu und sagte zu der dicken Frau am Verkaufsfenster: »Mariechen, einen Kasten Bitburger und zwei Haschen Korn. Der Herr bezahlt.«
    Nachdem ich bezahlt hatte, meinte er gönnerhaft: »Wir nehmen das Zeug zwischen uns.« Dann liefen wir mit der Bierkiste und dem Schnaps noch gute zwei Kilometer durch ein ödes Neubaugebiet, schließlich quer über eine wilde Müllkippe, um endlich vor einem dreigeschossigen Neubau zu stehen, dessen Besitzer offenkundig aufgegeben hatte.
    Holunder war hochgeschossen, Pfeifenweiden standen malerisch wie expressionistische Gerippe vor unverputzten Klinkern, und oben auf einem Balkon ohne Geländer wuchs eine kleine, schräge Birke und wiegte sich sanft im kalten Wind.
    »Hier bin ich Hausmeister«, stellte er fest.
    Er ging vor mir her in den ersten Stock, und es roch so, wie Neubauten riechen, wenngleich ich immer an den Geruch zerbombter Häuser erinnert werde. Er blieb vor dem Eingang in eine Wohnung stehen, die mit einer schweren Tür aus Baubrettern gesichert war. Sie hatte ein gutes Sicherheitsschloss. Er fingerte an einem Schlüsselbund herum. »Ich muss immer abschließen. Die Kriminalität heutzutage wird immer schlimmer.«
    Auch innen gab es nur rohen Beton und rauhe Klinker. Ein großes Zimmer zur Straße hin hatte sich Karl komplett eingerichtet, die Wände mit Wolldecken straff bezogen, alte, teilweise richtig schöne Teppiche auf dem Boden. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, vier Sessel - alles vom Sperrmüll, aber alles gepflegt und matt glänzend poliert.
    Er ging zu einem Gasherd, der mitten im Raum stand, öffnete die
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