Requiem: Roman (German Edition)
sind?«
»Sie haben beschlossen, dass McGladdery schuldig ist, und haben ihn unter diesem Gesichtspunkt verfolgt. Sie haben nie nach jemand anderem gesucht.«
»Die Geschworenen entscheiden, ob er unschuldig oder schuldig ist.«
»Nein, tun sie nicht. Das haben Sie und Richter Curran doch längst entschieden.«
»Weißt du, was du machen solltest? Nach Hause gehen und vor der eigenen Tür kehren. Und dich um diese Frau kümmern, diese Bibliothekarin. Vielleicht besser als um die letzte.«
McCrink hob den Blick und bemerkte, wie sich die Gerichtsdiener durch die Menge im Vorraum bewegten und die Leute informierten, dass die Geschworenen zurückgekehrt waren. Als er auf den Gerichtssaal zuging, traf er Agnes McGladdery. Sie trug ein gelbes Kleid, ihr Make-up war aufdringlich; sie ähnelte einem verlorenen Clown, der sein Gesicht der Menschenmenge in schrecklichem Leid zuwandte. Die Gerichtsdiener forderten die Leute auf, ihre Plätze einzunehmen, und McCrink sah, wie der Gehilfe des Richters durch die Tür schlüpfte wie ein Mann, der weiß, dass schlechte Nachrichten bevorstehen. Brown unterhielt sich mit dem Anwalt Luke Curran und schüttelte den Kopf. McCrink wusste, dass es kein gutes Zeichen war, wenn die Geschworenen nach so kurzer Zeit zurückkehrten. Unter der Tür des Gerichtssaals wurde McCrink von Mervyn am Arm gepackt.
»Was geht hier vor, Mr McCrink? Es ist alles anders.«
Ein Gefühl lag in der Luft, als komme etwas, das lange ausgebrütet worden war, ans Tageslicht, als würde ein Plan umgesetzt. McCrink fragte sich, welchen Anteil der Richter daran hatte. Speers und Johnston traten vor ihm in den Gerichtssaal, gefolgt von den Vertretern der Staatsanwaltschaft in ihren Roben und Perücken, von den Gerichtsdienern und Gehilfen.
*
Jahre später beschrieb Jack Landelis, einer der Geschworenen, was im Geschworenenzimmer vor sich gegangen war. »Ich hab ein DIN-A4-Blatt genommen und es in zwölf Stücke gerissen und die verteilt. Schreibt schuldig oder nicht schuldig drauf, hab ich gesagt, dann reden wir drüber.«
Laut Landelis fand überhaupt keine Beratung über irgendeinen Aspekt der Beweislage statt. Die kurze Zeitspanne hätte ohnehin nicht gereicht für irgendwelche Überlegungen. Die Geschworenen kehrten nur vierzig Minuten, nachdem sie sich zurückgezogen hatten, mit ihrem Urteil zurück. Auf jedem der Papierstreifen stand schuldig. Auch McGladderys Auftreten vor Gericht kommentierte Landelis in jenem Interview. »Er ist einfach nicht als ehrliche Haut rübergekommen«, sagt er und lacht.
Berichte zum Prozess gehen auf den Schuldspruch und die Verurteilung Robert McGladderys zur Todesstrafe durch Richter Curran ein. Curran stellt die Frage, ob es irgendeinen Grund gebe, »weshalb das Todesurteil und die Hinrichtung nicht für Sie ausgesprochen werden sollte«.
Robert antwortet: »Es gib einiges, was ich dazu sagen könnte, aber es würde nichts ändern. Ich verstehe, dass Euer Ehren eine Pflicht zu erfüllen haben, aber es gibt in diesem Gericht keinen Menschen, der sagen kann, dass ich Pearl Gamble ermordet habe – ich war’s nicht. Ich bin unschuldig.«
Die Berichterstattung ist verhalten, findet nicht auf den Titelseiten, sondern irgendwo im Innenteil der Zeitungen und als zweites oder drittes Thema in den Radionachrichten statt. Im Vergleich mit der Berichterstattung der Untersuchungen sind die Berichte über das Urteil zurückhaltend, schreiben die Zeitungen halbherzig über den Schuldspruch. McGladdery sitzt blass und schuldig auf der Anklagebank, das Urteil wird verkündet, Lance Curran setzt den eckigen schwarzen Seidenhut auf seinen Kopf und spricht die Todesstrafe aus. Szenen, die für das Publikum aus der Vergangenheit aufzutauchen scheinen, melodramatisch flackernd wie frühes Kino.
Sowohl Curran als auch McGladdery scheint bewusst zu sein, dass der Augenblick ernst genommen werden will und Würde verlangt, dass im Angesicht letzter Dinge eine gewisse Rhetorik unabdingbar ist.
Man wird an den Umschlag von Mickey Spillanes Roman erinnert, der in Roberts Zimmer gefunden wurde, an den Mann, der sich mit den Fesseln abquält, den Blick auf die treulose Frau fixiert.
Nachdem Robert gesprochen hatte, setzte er sich wieder hin und schien das Interesse am weiteren Verlauf verloren zu haben. Beobachtern im Publikum fiel seine offenkundige Emotionslosigkeit auf.
In dieser Nacht versammelten sich die Menschen auf den Straßen, um sich die Übertragung des Prozesses anzusehen. Es
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