Requiem: Roman (German Edition)
von Walzermusik drangen aus dem Ballsaal, über dem Abend lag eine Aura gedämpfter Machenschaften. McCrink überquerte den Teppich, Augen folgten ihm, dieser schlurfenden Erscheinung, die einen fremden Geruch mit sich brachte. Als er an der Rezeption stand, spürte er, wie jemand seinen Ellbogen berührte. Er erkannte den Mann, der hinter ihm stand, von Pressefotos. Innenminister Brian Faulkner. Faulkner trug einen Abendanzug. McCrink war sich bewusst, dass er Dreck an den Schuhen hatte. Er kam sich grobschlächtig vor, befleckt von seiner Beschäftigung mit dem Fall.
»Guten Abend, Inspector«, sagte Faulkner, »lassen Sie mich Ihnen zu Ihrer Ernennung gratulieren.«
»Danke, Herr Minister.«
»Sie sehen müde aus. Sie machen bestimmt Überstunden wegen dieses furchtbaren Gamble-Falles. Wie ich höre, ist ein Schuldspruch garantiert.«
»Wir tragen Beweismittel zusammen, Sir.«
»Man hat mich wissen lassen, dass eine rasche Aufklärung des Falles erwartet wird. Dass man einen Mann verdächtigt.«
»Ein Verdacht ist nicht dasselbe wie ein Schuldspruch, Sir, bei allem Respekt.«
»Sie haben noch an keinem Mordfall hier in Nordirland gearbeitet, Detective, nicht wahr?«
»Nein, meine Erfahrung beschränkt sich auf London.«
»Vertrauen Sie mir. Es wird einen Schuldspruch geben. Sie erledigen Ihren Job, ich meinen. Ich muss zurück zu meiner Gesellschaft. Aber ich möchte Ihnen noch einmal meine wärmste Gratulation aussprechen.«
McCrink sah Faulkner nach. Sie erledigen Ihren Job, ich meinen. Bei einem Todesurteil gingen Gnadengesuche über den Tisch des Innenministers. Faulkner wollte den Strick.
McCrink nahm die Akte mit auf sein Zimmer und setzte sich aufs Bett. Die Akte hatte bereits ihre eigene Geschichte, man sah ihr an, dass sie auf Polizeischreibtischen und in schmuddeligen Vernehmungszimmern gelegen hatte. Das Deckblatt war abgegriffen und voller Stockflecken, die Akte selbst sah aus, als beinhaltete sie etwas Zerbrechliches. Er ertappte sich dabei, an historische Schriftrollen aus Papyrus zu denken, die kurz vor ihrer Entzifferung standen und all das enthielten, was es über vergessene Zeiten, ausgestorbene Rassen, Aramäer und Phönizier, entlegene Sprachen und Dialekte zu wissen gab. Darin lag Potenzial für Ehrfurcht, das spürte er.
McCrink las bis um 23 Uhr, dann klappte er die Akte zu und ging in die Bar hinunter. Aus dem Ballsaal war noch immer Walzermusik zu hören. Bei einem Barkeeper in weißem Jackett bestellte er einen Whiskey-Soda. In der Lobby saßen Männer mit schwarzen Krawatten, melancholische, räuberische Gestalten. McCrink spürte, dass er sich in Gesellschaft einer untergegangenen Bourgeoisie befand. Zwischenkriegsstimmung lag im Raum.
Er blickte hoch und sah die Bibliothekarin auf sich zukommen. Sie trug einen Rock und eine bunte weite Bluse. Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und ging barfuß über den Teppich. Das Haar hing ihr bis auf die Schultern, ihre Augen waren vom Pony teilweise bedeckt. Er sah den ironischen Zug um ihren Mund und eine Koketterie in ihrem Verhalten, für die sie zu alt war. Sie hatte getrunken. Die verblasste Kleinstadt-Schönheit.
»Detective McCrink! Sind Sie zum Vergnügen hier oder geschäftlich?«
»Geschäftlich. Ich wohne hier.«
»Haben Sie den Mord an der armen Pearl schon gelöst?«
»Wir arbeiten dran.«
»Das passiert, wenn man einen Mann reizt, ihm den Kopf verdreht.«
»Hat Pearl das getan hat? Ihm den Kopf verdreht?«
»Das wird in der Stadt gemunkelt. Möchten Sie wissen, was man über mich munkelt? Da haben wir sie! Beinahe vierzig und noch immer keinen Mann. Ohne Kind und Kegel. Sie wispern, dass möglicherweise eine Verlobung in die Brüche ging. Entweder hat er sie einfach so sitzen lassen, oder er ist mit einer anderen durchgebrannt. Suchen Sie sich’s aus. Sie sind der Detective. Finden Sie für mich das gebrochene Herz.«
»Ich denke, es ist eher so, dass Sie Herzen brechen.«
»Das ist genau die Art abgeklärte Galanterie, die ich hören will. In dieser Gegend ist man Frauen gegenüber nicht sehr höflich.«
Ihre Sätze klangen unecht, wie aus der Vergangenheit. McCrink war sich bewusst, dass er ihr Bild im Reporter unter den Fotos der Drama Society finden würde, Jahre zurückliegend. Eines der körnigen, unscharfen Gesichter. Eine, die sich aus dem Chor ihren Weg nach oben gebahnt hatte. Die in ihren Zwanzigern in der Pantomime den männlichen Hauptdarsteller gegeben hatte, Strumpfhosen trug und einen Hut,
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