Requiem: Roman (German Edition)
Jetzt sieht er selber, dass es für ihn sehr wohl etwas ausmacht. Was ist das für ein Sohn, der mit seiner Mutter über so Sachen redet? Er hat mir von seinen Freunden erzählt, aber ich glaube, das waren Lügen. Er hatte schon immer einen Hang zum Lügen, wenn er wusste, dass ihn die Wahrheit in Schwierigkeiten bringt. Er redete von Russen und Agenten, wirres Zeug. Er hat schon als Kind viel gelesen, und wenn man mich fragt, hat er nur Durcheinander im Kopf.
Bevor er wegging, war er schüchtern mit Frauen, er brachte kein Wort heraus, wenn ihn eine nur schräg ansah. Danach redete und redete er, na, wie geht’s uns heute, Mädels, und all so Zeugs.
In ein paar der Zeitungen stand, er würde gut aussehen. Gut aussehen ist ja schön und gut. Die sagten das Gleiche über seinen Vater, der war ein Tänzer, da blieb dir die Spucke weg, wenn du ihm nur zugeschaut hast. Das wird nicht das Einzige sein, was dir wegbleibt, wenn du ihn unter deine Fittiche nimmst, haben sie mir damals gesagt, aber ich hab nicht drauf geachtet. Am Anfang sagte er die ganze Zeit Sachen wie »ach, deine Augen«, »ach, deine Hände«, »ach, deine Lippen«, bis er hatte, was er wollte. Dann hat er mir auf der Straße die kalte Schulter gezeigt und wurde unverschämt.
Als Robert aus London zurückkam, war er verschlossen. Und er hat Literatur in seinem Zimmer aufbewahrt, über die ich lieber nichts sagen möchte, nur, dass es nicht richtig ist, so etwas ins Haus zu bringen. Er hat über nichts anderes mehr geredet als über London und über schicke Kleider, und man hat ihm angesehen, dass ihm alles zu Kopf gestiegen ist. Er war Tag und Nacht in der Stadt unterwegs und hat den Dandy markiert.
Sie möchten, dass ich über die Nacht des Mordes rede. Über Mord kann man nur reden, nachdem Fleisch und Blut von Sünde frei sind. Ich entsinne mich, dass er den ganzen Nachmittag in Pubs und Spelunken in der Stadt unterwegs war. Dann kam er mit Will Copeland heim, der seit der Kindheit sein Freund ist, um sich zum Ausgehen bereit zu machen. Er musste sich immer herausputzen. Ich sag ihm, du gehst doch bloß auf einen gewöhnlichen Schwof. Man weiß nie, sagt er, meine Prinzessin könnte dort sein. Prinzessin, vergiss es, sag ich, du wirst dir eine alte Krähe angeln.
Als Robert aus dem Haus ging, hat er einen schwarzen Anzug getragen. Was sein Kumpel Copeland anhatte, hab ich nicht gesehen.
Sieben
A gnes McGladdery erzählte allen, dass Robert einen Schlag gegen den Kopf erlitten habe, als er klein war. Sie sagte, eine Babysitterin habe ihn fallen lassen, als sie ihn in den Kinderwagen legen wollte.
»Sie war eine Mackie aus Brook«, sagte Agnes, »eine von denen aus den Fabriken.«
Das Mädchen aus der Fabrik, das ihn auf den Kopf hatte fallen lassen, wurde etwas zu oft erwähnt, als Robert jung gewesen war. Über die Jahre wurden ihr immer neue Eigenschaften zugeschrieben, bis sie in seiner Vorstellung schließlich eine ausgereifte Persönlichkeit war. Das Mädchen trank. Sie traf sich hinter dem Markt mit Männern. Agnes nannte sie eine Nutte. Sie brachte Kinder ausländischer Matrosen zur Welt. Das blasse, tollpatschige Mädchen, welches das Baby hatte fallen lassen, wurde zu einer Figur, die Juwelen trug, Gin und Heimtücke ausdünstete und den kleinen Robert mit umflorten Augen schlampig versorgte.
Deine Schwierigkeiten haben mit ihr angefangen, sagte Agnes. Dein Hang zu Abwegen.
Agnes’ Tage wurden von Vorstellungen dieser Art bestimmt. Eine Galerie von Herumlungerern, Nichtskönnern und Nutznießern aus der Unterschicht. Frauen, die die Nacht zum Tag machten.
Robert sagte später, er sei ein Fall wie aus dem Lehrbuch. Als Kind litt er unter Kopfschmerzen. Es gab Zwischenfälle in der Schule. Auf dem Pausenhof wurde ein Junge verprügelt. Als Robert im Gefängnis saß, bat er den Arzt, ihn auf krankhafte Veränderungen des Hirns zu untersuchen, Verletzungen der vorderen Gehirnlappen.
»Ich krieg immer diese Kopfschmerzen«, sagte er.
Er erzählte dem Arzt, es gebe Eingriffe, die man vornehmen könne. Es gebe Instrumente, um Dinge abzutrennen, wegzuätzen. Er hatte Darstellungen davon auf schwarz-weißen Bildern in medizinischen Fachbüchern gesehen, die er sich aus der Bücherei in Newry auslieh. Gegenstände aus Chrom und rostfreiem Stahl.
Agnes meinte, es wäre besser gewesen, er hätte sich von der Bücherei ferngehalten. Sie sagte, er habe sich den Kopf vollgestopft. Robert behauptete, in einem anderen Leben wäre er Doktor
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