Requiem: Roman (German Edition)

übermütig schief sitzend, dass sie einen mit Filzstift aufgetupften Schnurrbart hatte und ein sprödes, bisexuelles Element in das Stück trug, umringt von Damen in gepuderten Perücken.
    »Kommen Sie auf die Terrasse mit mir«, sagte sie.
    Der Tanz war vorbei. Leute gingen über den Fußweg zu ihren geparkten Autos. Sie traten auf die Terrasse hinaus, von der man über den Meeresarm blickte. Am Kopf der Bucht sah er die Lichter Newrys, reflektiert von den Unterseiten der aufgewühlten Wolken. Die See war unruhig, stürmische Böen bliesen landeinwärts.
    »Sie werden nie herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist«, sagte sie, »Sie können hängen, wen Sie wollen. Es ist Sache der Stadt, und die Stadt wird sich darum kümmern.«
    »Wie war noch mal das Wort, das Sie gebraucht haben? Das Wort, das Dieb bedeutet?«
    »Nyuk.«
    Sie verzog ihr Gesicht, um es auszusprechen, die Schultern gekrümmt. Für einen Moment sah sie aus wie eine dahinschlurfende Gaunerin, die ihm aus der Dunkelheit Zeichen gab.
    Er wusste, dass sie mit ihm auf sein Zimmer kommen würde. Den Flur entlang lief sie jetzt mit langen Schritten vor ihm. Im Bett war sie ernsthaft, arbeitete mit sicheren, geschickten Berührungen und wollüstigem Gebärdenspiel, das einen berechnenden Eindruck machte, auf den Höhepunkt hin. Deine Hand. Warte. Sie führte ihn, mit harten Gesten und gekeuchten Anleitungen, auf das Eigentliche zu. Fügte die Episode in der Dunkelheit Stück für Stück zusammen.
    Als sie eingeschlafen war, stand McCrink auf und trug die Akte zum Frisiertisch hinüber. Er schaltete das Licht ein und las eine Stunde lang. Versuchte, in den zurückhaltenden Aussagen über den Tanzabend das Profil eines Tatverdächtigen auszumachen. Die meisten Zeugen beschrieben vorsichtig, was sie in jener Nacht gesehen hatten, suchten ihren Weg durch die Schatten der Ereignisse. Busse, die aus dem Umland zur Halle des Oranier-Ordens fuhren. Die Gebote ländlicher Vereinigungen gegen Alkohol in ihren Köpfen.
    Er schloss die Akte und ging zum Fenster hinüber. Er trat auf den Balkon, der auf die See hinausging. Er konnte die flachen Wellen sehen, die sich am Strand brachen. McCrink wusste, dass die Bucht gefährlich war. Es gab Gezeiten und Strömungen, Sandbänke, Scherwinde und tödliche Sturmböen, die über die Felsen am südlichen Ufer hereinbrachen. Es gab Geschichten von gesunkenen Vergnügungsschiffen, gestrandeten und verschwundenen Booten, von Selbstmördern, die auf die offene See hinausgetrieben wurden, von Betrunkenen, die über Bord gegangen waren. Jedes Jahr gab es drei oder vier Tote in der Bucht.

Sechs
    Vernehmung von Agnes McGladdery, Corry Square,
Hauptquartier der Royal Ulster Constabulary, 2. Februar 1961
    I ch heiße Agnes McGladdery. Ich bin die Mutter von Robert McGladdery, der am 18. Oktober 1935 unehelich geboren wurde. Er war von Beginn an kränklich und hatte keinen Appetit, schon die Hebamme bemerkte das. Andere Frauen haben einen liebenden Mann, der ihnen in Zeiten der Qual hilft, aber ich war alleine, sobald man das Kind aus mir herausgezogen hatte.
    Als Junge hatte er immer irgendwelche Einfälle und konnte einen um den Finger wickeln. Eines Tages nimmt er die Perlmuttschachtel aus dem Schlafzimmer und lässt sie die ganze Nacht im Regen. Als ich ihn frage, wieso hast du das gemacht, sagt er, um einen Meteoriten zu fangen, der nachts vom Himmel fällt. Was für ein Gedanke, dass die Sterne auf deinen Befehl hin aus der schwarzen Himmelsgruft fallen könnten.
    Manchmal saß er so still da, dass man denken konnte, er wär tot. Die reden von Versäumnissen bei der Erziehung, aber wenn es etwas gibt, was ich versäumt habe, dann, ihm den Hintern zu versohlen, wenn er mir blöd kam. Die Schulaufsicht war Tag und Nacht hinter mir her, aber was soll man machen, wenn sich der Nachwuchs auf der Straße herumtreibt, obwohl er zur Schule müsste? Sie nannten es »der Schule fernbleiben«, und so wie er sich benahm, machte er sich aus dem Herzen seiner sorgenden Mutter genauso aus dem Staub wie sein Vater vor ihm. Als er aus London zurückkam, war er nicht mehr derselbe. Das sage ich als seine Mutter. Er ist dort mit dem Verbrechen in Kontakt gekommen. Gott weiß, was für Kreaturen nachts dort durch die Straßen streunen. Er arbeitete an Orten mit schlechtem Ruf. Er schrieb mir von Frauen, für die Anstand ein Fremdwort war und die an seinem Arbeitsplatz auftauchten, als wär alles bloß ein Witz und würde nichts ausmachen.