Requiem: Roman (German Edition)
Flugplätzen mit anderen klein gewachsenen, leidenschaftlichen Männern. Sie begrüßten sich gegenseitig mit feierlichem Kopfnicken. Sie sahen sich als Bewahrer der Flugkunst, die ihre Flugzeuge, deren Anfälligkeiten sie genau kannten, durch den turbulenten Himmel steuerten, Experten darin, nicht vom Kurs abzukommen, nicht zu krängen. Während der Verhandlung wurde Mervyn als eine »Kraft des Guten« in Roberts Leben beschrieben. Er hatte Robert eine Lehre in seinem Schustergeschäft in der Stadt angeboten, und Robert hatte gelegentlich bei ihm ausgeholfen.
Mervyn erlaubte Robert, ihm bei der Modelleisenbahn zur Hand zu gehen. Agnes behauptete, Robert habe alles, was er anfasste, kaputt gemacht. Aber Robert sagte, er habe nie irgendein Bestandteil der Modelleisenbahn kaputt gemacht. Es gab Rangierbahnhöfe aus zusammengesteckten Schienen, aufgebaut auf einer Hartfaserplatte. Lokomotiven aus Spritzguss. Winzige Güterwagen. Robert gefiel das magnetische Schwirren der Züge, die durch die Anlage fuhren, der Geruch des Transformers nach Eisenspänen. Legte man seine Hand darauf, fühlte man die Hitze und das Summen der niedrigen Spannung. Es gefiel ihm, die Messingschräubchen und Kupferbeschläge der Kessel unter die Lupe zu nehmen.
Robert half dabei, Blattwerk und Brücken zu machen. Sie arbeiteten mit Balsaholz und spiritushaltigen Klebstoffen. Mervyn ließ Robert die Formen mit einem Bastelmesser aus dem Balsaholz ausschneiden. Die Klinge war scharf. Es gefiel Robert, wie sie ohne Widerstand durch das Holz glitt. Er strich mit dem Finger über die Schnittstellen, um die innere Beschaffenheit des Holzes zu fühlen, und verbrachte Stunden damit, den richtigen Glanz hineinzuarbeiten, wobei er sich der Seele des Holzes bewusst war, der polierten Maserung.
Mervyn hatte ein Archiv mit Zeitungsausschnitten berühmter Morde. Gelegentlich breitete er die Ausschnitte auf der Werkbank aus. Es gab Fotos von Patricia Curran, der Tochter des Richters, die 1952 in Whiteabbey erstochen worden war. Fotos von Elizabeth Short, der schwarzen Dahlie, deren verstümmelte Leiche im Januar 1947 im westlichen Los Angeles gefunden worden war.
»Sie war sauber in zwei Stücke zerteilt. Ihre Kleidungsstücke fehlten. Er hat ihr die Mundwinkel zerschnitten und ein Lachen auf ihr Gesicht gezaubert. Hat ihre Organe herausgetrennt, ohne Zweifel eine satanische Praktik. Der Mann war versessen auf die Arbeit des Teufels.«
»Haben sie je rausgekriegt, wer’s gewesen ist?«
»Keiner ist je verurteilt worden«, sagte Mervyn, »aber ein paar Berühmtheiten aus Hollywood gerieten unter Verdacht. Außerdem gab es Hinweise, dass möglicherweise Kerle aus der Unterwelt die Hände im Spiel hatten.«
Robert glaubte, er könne einen flüchtigen Blick auf den Mörder erhaschen, durch eine offenstehende Tür, eine Gestalt, die sich über eine Werkbank beugte, Werkzeuge in der Hand, das Gesicht der Arbeit zugewandt, ein Mann mit einem profanen Hobby. Eine Gestalt, die von anderen Enthusiasten erkannt wurde.
Roberts Blick kehrte immer wieder zur Fotografie von Patricia Curran zurück. Alle Zeitungen hatten das gleiche offizielle Bild der Neunzehnjährigen verwendet. Die Mundwinkel herabgezogen, die Augen im Schatten. Der verschleierte, diebische Blick. Robert war achtzehn, als Iain Hay Gordon des Mordes an Patricia Curran angeklagt und aufgrund von Geisteskrankheit freigesprochen worden war.
»Ich weiß, was ich mit so einem Schwein machen würde«, sagte Mervyn, »ich würd es verdammt noch mal hängen, das würd ich. Das Schwein fix und fertig machen, nichts anderes.«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Robert, »das Gehirn kann in der Kindheit Schäden abbekommen, wirklich. Manchmal wissen die gar nicht, was sie anstellen.«
Er hatte Darstellungen des menschlichen Gehirns im World of Wonder Magazin studiert. Er hatte gelernt, dass das Gehirn eine Rinde besaß, einen Stamm, hatte am Geländer des Strandbades in Warrenpoint gestanden, um den Quallen zuzuschauen, die im Stauwasser schwebten. So stellte er sich die Hirnrinde vor. Eine pulsierende, gallertartige Masse, ein malvenfarbenes Gewebe, das höhere Intelligenz zu besitzen schien, eine besser entwickelte Lebensform.
Betrachtet man Fotos von Pearl Gamble und Elizabeth Short, erkennt man Ähnlichkeiten. Short hatte einen deutlichen Spalt zwischen ihren Vorderzähnen. Sie hatte schlechte Zähne und bastelte sich gelegentlich Füllungen aus Wachsstücken. Während der Verhandlungen fing Robert an,
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