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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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aber er verlangte, dass er es richtig machte.
    »Wenn du Fleisch willst, geh zum Metzger«, sagte Mervyn, »Bodybuilding bedeutet Handwerk und Kunst.«
    Er versuchte, Robert beizubringen, dass etwas Erhabenes darin lag. Er erklärte ihm die Muskelgruppen, Brustmuskeln, Gesäßmuskeln, die ineinander verwobenen Fasern und Proteine, das von Gott sichtbar gemachte Netz der Sehnen.
    »Ich weiß nicht, ob ich zu dir durchdringe, mein Junge«, sagte Mervyn, »es geht nicht darum, bei den Frauen unten in Warrenpoint Eindruck zu schinden. Es ist etwas, das du für dich selber machst.«
    Robert bestellte Bodybuilder International beim Zeitungshändler. Er kaufte einen Expander bei Smith’s Gesundheitsund Fitnessstudio am Merchants Quay. Der Expander wurde von Charles Atlas, dem Weltmeister im Bodybuilding, angepriesen. Auf der Schachtel war ein Foto von Atlas; die Hände an die Bauchmuskeln gepresst, präsentierte er seine eingeölten Muskeln und seinen Bauch.
    Robert machte Bankdrücken und arbeitete mit Hanteln, um seine Bauch- und Brustmuskeln auszubilden. Das ließ ihn an die Anatomieposter denken, die man im Behandlungszimmer des Arztes sah, die dargestellten Muskeln und abgehäuteten Körper mit den blauen Arterien und dem erbarmungslosen, geäderten Starren hervortretender Augäpfel.
    »Stell dir den Fick vor, den du von so einer kriegen würdest«, sagte Will Copeland und deutete auf die weiblichen Bodybuilder.
    Robert war sich da nicht so sicher. Sie sahen aus wie animierte Anatomieposter. Sie verfolgten ihn in seinen Träumen, halb nackt und profan.
    Will Copeland war Roberts bester Freund. Er lebte im Viertel von Exchequer Hill. Sie gingen zusammen in den Bädern in Warrenpoint schwimmen. Robert kletterte auf das höchste Sprungbrett und posierte. Er tat so, als sei er einer der Athleten der Olympiade, die man in den Nachrichtenfilmen im Kino sah. Fremdländische Männer in einteiligen Badeanzügen und mit Schwimmkappen.
    »Los, Robbie, du Vollidiot. Du traust dich ja doch nicht!«
    Für Robert benutzte Will immer Anreden wie Vollidiot und Spast. Er sorgte dafür, dass er sich vorkam wie eines der Kinder, die im Sommer bei Ausflügen nach Warrenpoint gebracht wurden und in Rollstühlen am Wasser saßen, Kinder, die Köpfe auf eine Seite gelegt.
    »Wie Tiere vom Feld«, sagte Agnes.
    Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, wenn sie die Kinder sah. Sie betrachtete sie als Wesen jenseits aller Menschengnade.
    Das also waren die Zeiten mit Agnes, an die sich Robert erinnern würde. Softeis kaufen bei Genoa. Die Geräusche der Leute, die in den Becken schwammen und zur Promenade hochsahen, weil einer auf dem Sprungbrett balancierte. Das Federn des Brettes in der Abendluft und der Springer, den man nicht mehr sah, von unsichtbarer Hand weggezaubert. Aus dem Pavillon im Park war Musik zu hören, Männer in Weiß spielten Tennis. Diese Abende waren in Roberts Erinnerung eingebrannt wie Träumereien eines freundlichen normalen Lebens.
    Will kaufte Zigaretten für sie im Mascot am Margaret Square, No. 6 und Embassy Regal. Sie hielten immer Ausschau nach neuen Orten, an denen sie rauchen konnten, und fanden Verstecke in der ganzen Stadt. Sie kamen sich vor wie bei einer Ausbildung für Heimlichtuer. Auskundschaften schlecht beleuchteter Areale. Es gab Stellen in der Stadt, die waren wie leergeräumte Viertel. Die Böschung am Kanal. Die Rückseiten der Kohlespeicher. Die Schleusentore. Sie liefen zu den Schuppen hinter dem Kanalbecken. Das Becken wurde nicht mehr verwendet, doch das Wasser war ruhig und ölig. Es gab Gerüchte, etwas Monströses lebe dort in der Tiefe.
    Robert und Will wussten nicht, wozu die Schuppen gebraucht worden waren. Ein längst ausgestorbenes Handwerk war dort ausgeübt worden, von dem keiner mehr redete. Die Wände waren aus Wellblech, die Fenster zerbrochen. Auch das Dach war aus Wellblech, alles war bedeckt mit Graffitis. Im Innern herrschte ein Durcheinander aus alten Flaschen, leeren Farbkübeln, ramponierten Haushaltsgeräten. Die Leute hielten sich von dem Ort fern. Tagsüber lag die Ahnung schlechter Nachrichten über den Schuppen, die Ahnung von Jobverlust, von einer örtlichen Industrie, mit der es bergab ging.
    Nachts war es anders. Auf dem Dach klapperten lose Asbestverkleidungen. In den leeren Fensterrahmen stöhnte der Wind, und Robert dachte an geheime Geschichten, an Botschaften, die zwischen den Ewigkeiten ausgetauscht wurden, an bruchstückhafte Geistergeschichten, die

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