Requiem: Roman (German Edition)
Stadt gehörte und ob sie es alle trieben, Fummler und Forscher im Verborgenen.
Sie übernahm die Führung und sagte ihm, was er als Nächstes zu tun hatte, gab ihm mit gehauchter Stimme ausführliche Instruktionen. Leg deine Hand dahin. Langsamer. Sie arbeitete daran, schweigend zu kommunizieren, mit Blicken, Lauten, wortlosen Aufforderungen und kaum wahrnehmbaren Angeboten in den Randgebieten der Liebe. Danach nahm sie eine Schachtel Zigaretten aus dem Nachttisch. Gitanes. Das passte zum folkloristischen Wandbehang und zum Bettüberwurf aus Indien in ihrem Schlafzimmer. Kleinstädtische Boheme. Der Zigarettenrauch hing in der warmen Nachtluft, scharfer gallischer Duft.
»Meinst du, McGladdery hat Pearl umgebracht?«
»Wahrscheinlich.«
»Wieso macht ein Mann so was?«
»Ich weiß es nicht. Ich hab’s schon so oft gesehen und weiß es immer noch nicht.«
»Arme Pearl. Sie passte einfach perfekt in diesen Laden. Perfekt wie eine chinesische Puppe. Pearl war exakt der richtige Name für sie.«
»Da fällt mir ein, dass ich dich nie gefragt habe, ob du McGladdery kanntest.«
»Klar hab ich ihn gekannt.Er war ja dauernd in der Bibliothek.« McCrink stützte sich auf die Ellbogen. Er glaubte, Donnergrollen über den Bergen zu hören. Unter dem Fenster gingen zwei Männer vorbei. Während sie an der nachempfundenen venezianischen Fabrikfassade von Thompson’s Mill an der Canal Street entlanggingen, sprachen sie leise miteinander. Eine Nacht der Ahnungen. Geheimnisse, unterwegs in der drückend heißen Nacht. Der maskuline Geruch der Zigarette hing in ihrem Zimmer.
»Wieso hast du mir niemals was gesagt?«
»Du hast mich niemals danach gefragt.«
Sie verfiel in den kehligen Dialekt der Stadt. Er setzte sich auf und sah auf sie hinab. Er fing an, die Stadt zu begreifen, diesen Ort an der Grenze. Seine Bewohner mit Herzen, die unterwandert waren. Ihre Art, wie sie niemals Informationen anboten. Man musste nach ihnen forschen, musste sie aus dem Verschwiegenen und Vorenthaltenen heraushören. Ihm war aufgefallen, dass die Leute dieser Stadt das Telefon abhoben, ohne sich zu melden. Am anderen Ende blieb einem nichts anderes übrig, als ins Leere zu reden.
»Hast du mit ihm geredet?«
»Manchmal. Wenn er sich Bücher auslieh.«
»Gibt’s bei euch so was wie die Schweigepflicht der Bibliothekare? Kann ein Bibliothekar auf Schweigepflicht plädieren? Wie ein Arzt oder so?«
»Er war immer höflich. Nannte mich Fräulein.«
»Darf ich fragen, was für Bücher er ausgeliehen hat, oder fällt das unter die Schweigepflicht?«
»Alles Mögliche. Er hat mir mal gesagt, er habe einen Verstand, der sich für vieles interessiere. Er hat sich verschiedene Sachen ausgeliehen. Bodybuilding, Kriminalromane.«
»Ich kann einfach nicht fassen, dass du mir das vorenthalten hast.«
»Das Ganze fühlt sich wie eine Geschichte an«, sagte Margaret, »der schreckliche Mord. Die Bibliothekarin, die dem grüblerischen Detective aus der großen Stadt verfällt.«
»Ich grüble nicht. Und aus der großen Stadt bin ich auch nicht.«
»Jedenfalls nicht mehr.«
»Was soll das heißen?«
»Du erzählst nie von dir. Von deiner Zeit in London.«
»Da gibt’s nichts zu erzählen.«
»Die Leute reden. Wie kommt’s, dass er den Job in London aufgegeben hat, wo er doch so eine heiße Nummer war. Die sagen, McGladdery kommt vielleicht ungeschoren davon.«
»Ach ja?«
»Warum hast du London verlassen?«
»Ich hatte keine Lust mehr. Hatte genug von der Mordtruppe. Den Morden der Gangs, den Leichen, die bei Autobahnpfeilern abgelegt wurden. Genug von der ewigen Flut häuslicher Gewalt, von Ehemännern und Liebhabern als Mörder, den Kämpfen der Gangs im West End. Den Morden an den Nackten.«
»Und Anatomie.«
»Bitte?«
»Anatomiebücher. McGladdery hat sich die immer ausgeliehen.«
Kriminalromane und Anatomie. Eine Gestalt beugt sich in der Nacht über Pearl, so stellt man sich den finsteren Täter aus einem Roman vor, dachte McCrink.
Fünfzehn
B ei Roberts zweiter Anhörung während seiner Untersuchungshaft in Newry benutzte der Gerichtsschreiber eine manuelle Schreibmaschine. Der Belfast Telegraph berichtete, dass »der Angeklagte aufgeregt schien und sich über das Klappern der Schreibmaschine beschwerte«.
Robert reagierte möglicherweise auf den Lärm der Maschine, auf das scharfe Knallen der Typenhebel und das Aufschlagen der Buchstaben auf Papier. Vielleicht regte er sich aber auch darüber auf, dass die Geschichte
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