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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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herabströmte. Das blasse Gesicht des Gefangenen stach heraus wie das eines Bittstellers auf einer mittelalterlichen Bilderhandschrift, der, in Gottes Licht getaucht, nach oben blickt.
    McGladdery saß also auf dem Bett. Bücher lagen auf der Decke, Romane mit rissigen Buchrücken, die Umschläge verfleckt und mit Eselsohren. Brown hatte schon einige verteidigt, die zur Todesstrafe verurteilt worden waren. Einige von ihnen waren verloren in ihrer eigenen mörderischen Erhabenheit, doch McGladdery war anders, knabenhaft und interessiert.
    »Ich will meine Geschichte erzählen, Mr Brown. Ich schreibe sie auf, damit es die Leute verstehen.«
    »Genau das machst du, Robert.«
    Brown hatte schon andere Mandanten getroffen, die im Gefängnis ihre Geschichte aufschrieben. Üblicherweise waren es Sexualstraftäter, Männer mit Brille, die in sich selbst komplizierte seelische Verstrickungen aufdeckten. Die sich in den einsamen Mechanismen der Begierde verloren fühlten. Ihre Werke waren voller Selbstrechtfertigung.
    »Gib einfach nichts zu.«
    »Ich hab nichts zuzugeben. Ich habe sie nicht angerührt.«
    »Das Gericht hat eine Menge Indizienbeweise.«
    »Das Gericht hat verdammt noch mal rein gar nichts, denn ich war es nicht. Wenn die Leute meine Sachen lesen, können sie sich ihr eigenes Urteil bilden.«
    »Es gibt leider einige, die sich ihr Urteil schon gebildet haben, Robert. Das ist das Problem. Vielleicht erzählst du mir, was am 29. Januar passiert ist?«
    »Ich fang mit dem Tag an. Wir hatten ganz schön was getankt.«
    »Mit wem hast du getrunken?«
    »Mit Will Copeland. Wir waren im Hollywoods. Dann sind wir runter zur Legion. Haben bei Hughes was gewettet.«
    Ein Samstagnachmittag im Winter. Die Rennen, die über Lautsprecher ins Wettbüro übertragen werden. Haydock. Sandown Park. Pferde, die sich durch die Dämmerung plagen, die Seidentrikots der Jockeys und Hufschläge, die im Nieselregen verschwinden. Männer lassen sich in eine unerwartete Schwermut fallen, in den Straßen breitet sich die Dunkelheit aus.
    »Was passierte dann?«
    Brown kam sich vor, als würde er in jenen Tag hineingezogen.
    »Da waren wir dann fertig.«
    »Hast du irgendwas gekauft?«
    »Was meinen Sie?«
    »Warst du an dem Tag in irgendwelchen Geschäften?«
    »Ich weiß nicht mehr.«
    »Die Staatsanwaltschaft behauptet, du hättest bei Woolworths Werkzeuge für Schuhmacher gekauft. Eine Polizistin, die nicht im Dienst war, behauptet, sie hätte dir dabei zugesehen, wie du sie gekauft hast.«
    »Dann wird es wohl stimmen.«
    »Was passierte dann?«
    »Ich und Will sind zu mir nach Hause. Ich hab ihm angeboten, den Expander auszuprobieren.«
    »Expander?«
    »Vergrößert die Brustmuskulatur. Haben Sie Charles Atlas schon mal gesehen? Mit Charles Atlas legt sich keiner an. Stimmt doch, oder nicht?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Ich hab mir damit fast fünf Zentimeter mehr Brustumfang antrainiert. Und an den Oberarmen und am Genick hab ich auch zugelegt. Das wird Harry Allen ins Grübeln bringen.«
    »Harry Allen?«
    »Der Henker. Er muss das Genick und das Gewicht messen, um den Sturz zu berechnen.«
    »Wer hat dir denn das erzählt?«
    »Der Wärter. Der Bursche, der Sie hierhergebracht hat. Er sagt, der Kopf kann komplett abgerissen werden, wenn sie’s nicht richtig machen. Wenn man auf die Falltür knallt. Ich hab gehört, Allen hat ein ganzes Buch voll mit Berechnungen für jedes Gewicht. Man sagt, es sei schwerer, eine Frau zu erhängen. Ein Frauenkörper hat eine andere Masse. Das Genick einer Frau kann man brechen wie einen dünnen Zweig.«
    Geschlagen. Erstochen. Erdrosselt. Robert musste immer wissen, wie Dinge funktionierten. Um die ganze Sache mit Berechnungen in Schach zu halten. Fasziniert davon, dass das Erhängen eine eigene dunkle Wissenschaft war und dass es Männer gab, die Sklaven dieser Kunst waren. Er konnte nicht aufhören, darüber zu reden.
    »Ist in dem Zimmer irgendetwas passiert, während du den Expander benutzt hast?«
    »Ich hatte meinen Fuß in einem der Griffe. Der Griff ist weggerutscht, ist mir direkt ins Gesicht geflogen und hat mich verletzt. Ich hab ein bisschen von Mas Make-up auf die Kratzer getan, um sie abzudecken.«
    »Was hast du in jener Nacht getragen, Robert?«
    »Eine beige Windjacke und den dunklen, modischen Anzug aus London. Und die blauen Schuhe aus Wildleder.«
    »Das ist nicht, was die Zeugen sagen.«
    »Und was sagen die Zeugen?«
    »Die Zeugen sagen, du hast einen hellen Anzug mit

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