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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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Junge. Wenn Allen dich in die Fänge kriegt, brauchst du sowieso keine Zähne mehr.«
    Robert sagte Hughes, dass er etwas gemein habe mit Pearl. Sie beide hätten ungewöhnlich geformte Zähne.
    »Herrgott noch mal, hörst du endlich auf?«, sagte Hughes, »das Mädchen ist tot und unter der Erde. Das hast du auch mit ihr gemein, wenn du weiter rumerzählst, dass du die gleichen Zähne hast wie sie.«
    Robert las Bücher über persönliche Weiterentwicklung, die er aus der Gefängnisbücherei mitnahm. Er erklärte Hughes, wie wichtig es sei, gut drauf zu sein.
    »Eine fröhliche Persönlichkeit wird immer erfolgreich sein«, sagte er, »während der eher niedergeschlagene Charakter kämpfen muss, um auch nur die einfachsten Aufgaben zu verrichten.«
    Nach seiner Inhaftierung fuhr Robert mit dem Schreiben fort. Er schrieb von Hand auf unliniertes Druckerpapier. Er nahm erstaunt zur Kenntnis, dass Papier unterschiedlich schwer und in Bögen und einzeln lieferbar war sowie unterschiedliche Formate hatte. Es gab eine ganze Industrie, von der er nichts gewusst hatte. Papiere mit Prägedruck und Wasserzeichen. Das schien seinen Worten auf dem Blatt mehr Gewicht zu geben. Er fing an, sich wegen seiner Rechtschreibung und seiner Grammatik Sorgen zu machen. Er dachte an Fachmänner, Meister ihres Faches, an ihre europaweiten Gilden. Es gab Dimensionen im Geschäft des Schreibens, über die er sich bisher keine Gedanken gemacht hatte. Er stellte sich vor, wie sich die Fachwelt versammelte, freie Männer in Arbeitsschürzen.
    Er wollte seine Geschichte erzählen, aber einzelne Aspekte fingen an, ihm zu entgleiten. Es gab Dinge, die er als selbstverständlich betrachtet hatte.
    Hughes berichtete, dass Robert über den Schuldspruch im Fall Bratty nicht erschrocken sei.
    »Bratty wird nicht baumeln«, sagte er voller Überzeugung, »die Öffentlichkeit ist dagegen, Schwachsinnige zu hängen.«
    Hughes war sich da nicht so sicher.
    »Deine sogenannte Öffentlichkeit wäre glücklich, Bratty an den Fußknöcheln baumeln zu sehen, um nur ja sicherzustellen, dass sein Genick gebrochen ist.«
    Roberts Anwalt hatte James Brown engagiert, einen Kronanwalt aus Belfast, um ihn zu vertreten. Brown hatte den Ruf, alle seine bisherigen Mandanten vor dem Galgen verschont zu haben. Brown übernahm das Mandat am Tag von Brattys Urteilsspruch. Am darauffolgenden Tag ging er ins Gefängnis an der Crumlin Road, begleitet von einem älteren Angestellten aus der Kanzlei in Newry. Ein Wärter führte ihn durch schlecht beleuchtete Gänge ins Wartezimmer. Er öffnete die Türen mit Schlüsseln, die er an einer Kette um die Hüfte trug. Der Angestellte, der an seiner Seite blieb, war sich der Theatralik des Ortes bewusst, des untergangsgeweihten Gerassels, des bedeutungsschwangeren Marsches durch gesicherte Räume und der Architektur, die dazu diente, Missetäter an sich selbst zu erinnern. Die Backsteinmauern, vergitterten Fenster und verschnörkelten Schmiedearbeiten sorgten in der leeren Haupthalle für eine trübselige Stimmung. Im düsteren Licht waren die blassen Gesichter der Insassen kaum zu erkennen.
    »Ich wüsste, was ich mit einem Mann machen würde, der fähig ist, einem Mädchen so was anzutun«, sagte der Wärter, der wie ein Laienprediger aussah.
    »Er landet ohnehin am Strick«, sagte der Angestellte, »das wird ihm den Teufel austreiben.«
    »Er sagt, dass er es nicht getan hat.«
    »Das sagen sie alle, bis sie das Schafott sehen«, sagte der Wärter. Die Männer redeten den ganzen Weg bis zu Roberts Zelle.
    »Sie haben ihn im Trakt B«, sagte der Angestellte, »im Hochsicherheitstrakt.«
    »Er ist im Flügel für Sexualstraftäter«, sagte der Wärter, »aus Angst, die anderen Gefangenen machen den Job des Henkers.«
    Die Männer schienen den schwermütigen Dialog als Teil ihrer Aufgabe zu sehen, als hätte es Brown enttäuscht, wenn sie im Schatten des Galgens nicht ihre düsteren Späße getrieben hätten.
    Der Wärter öffnete die Tür zu McGladderys Zelle, und Brown sah ihn zum ersten Mal. Dieser erste Eindruck sollte ihn über viele Jahre begleiten. McGladdery sah aus wie ein bleichgesichtiger, einsamer Charismatiker, der sich von allen Seiten bedrängt fühlt.
    Der Wärter und der Angestellte traten zur Seite, und Brown ging in die Zelle. McGladdery saß auf seinem Bett. Brown fand, dass diese Räume immer wieder etwas Andächtiges hatten. Die Fenster waren hoch oben in die Wand eingefügt, weshalb das Licht in einer Bahn

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