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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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saß Tronka ganz schief auf dem Lokus und schaute ihn an. Doch der Blick, der leicht aus den Höhlen hervorgetretenen Augäpfel war blind. Die Zunge hing ihm aus dem geöffneten Mund. Um den Hals war eine Drahtschlinge geschlungen, die sich tief in sein Fleisch eingeschnitten hatte. Er war tot. In seinen nackten Oberkörper war eine große SS-Rune eingeritzt, aus der Blut sickerte und auf die weißen Fliesen tropfte. Wenn die Blutstropfen aufschlugen, zerstäubten sie in kleinere Partikel und spritzten bis auf Beauforts Schuhe und seinen Hosenschlag. Wie bei den anderen drei Opfern zierte Tronkas Oberlippe ein Hitlerschnauzer, aufgemalt mit einem schwarzen Eddingstift.
    Den Gedanken fassen und losrennen war eins. Beaufort sprintete durch die Toilettenräume, riss die Tür zum Gang auf und rannte mit wehendem Schal dem Mann mit dem Filzstift hinterher, mit dem er eben beinahe zusammengeprallt wäre. Das musste der als Club-Fan getarnte Mörder sein. Am Ende des Ganges stoppte er kurz ab, links ging es hinein ins Stadion zu den Sitzplätzen, rechts nach draußen. War der Mörder in der Masse der Fans untergetaucht, auf die Gefahr hin, nach Ende des Spiels doch noch geschnappt zu werden, oder hatte er sich davongemacht? Beaufort entschied sich für die rechte Seite, denn schließlich hatte der Täter seine Mission erfüllt. Draußen angekommen erkannte er den Mann in schwarzroter Trainingsjacke, schwarzer Hose, einem langen Fan-Schal und einer FCN-Schirmmütze auf dem Kopf wieder. Er war nur noch ein paar Meter vom Ausgang entfernt.
    »Halten Sie den Mann auf!«, brüllte er den beiden Stadion-Securitys dort zu, doch die beachteten ihn nicht. Nur der Mörder drehte sich um. Ganz ruhig und ohne sich etwas anmerken zu lassen, passierte er die Absperrung des Stadiongeländes und schlug die linke Richtung ein. Einen Moment lang war der hinter ihm hersprintende Beaufort irritiert und fragte sich, ob er den richtigen Mann verfolgte, da der keine Anstalten machte zu fliehen, obwohl sich sein Abstand zu ihm verringerte. Dann begriff er, dass es eine List war, um nicht den Argwohn der beiden Sicherheitsmänner zu erregen. Denn sobald er weiter weg vom Ausgang und aus deren Blickfeld war, spurtete er los.
    »Warum haben Sie ihn nicht festgehalten?«, fauchte Beaufort einen der Männer im Vorbeilaufen an. »Das ist ein Mörder.«
    Doch ehe der Sicherheitsbeamte darauf antworten konnte, war Beaufort schon durch das Metalldrehkreuz hindurch und setzte dem Flüchtenden nach. Dieser lief den erleuchteten Weg zwischen Stadion und Arena entlang und bog weiter hinten in einen dunkleren Pfad ein, der durch das Wäldchen zum Großen Dutzendteich führte. Obwohl Beaufort so schnell rannte, wie er konnte, vergrößerte sich der Abstand zu dem Mörder rasch wieder. Als er den Waldweg erreichte, war der Täter mindestens 200 Meter vor ihm. Dem Hobbydetektiv ging langsam die Puste aus. Während er am ersten Sportplatz in dem Wäldchen vorbeilief, war der Verfolgte schon fast außer Sichtweite. Beim Weiterhetzen fiel Beaufort ein, dass er Verstärkung brauchte. Er suchte verzweifelt nach seinem Handy, doch fand er es in keiner seiner Taschen. Irgendwo musste er es verlegt haben. Oder verloren. Er fluchte innerlich, denn für laute Verwünschungen fehlte es ihm an Sauerstoff.
    Ein paar Minuten später erreichte Beaufort, schnaufend wie eine Dampflok, das Seeufer. Den Mörder hatte er in der Dunkelheit längst aus den Augen verloren. Er stoppte, hielt sich die schmerzenden Seiten und schaute sich um. Weder rechts noch links auf der Promenade war ein Mensch zu sehen. Am anderen Ufer erhob sich still und drohend die unbeleuchtete Kongresshalle, links daneben glitzerte und blinkte es in allen möglichen Farben. Das Volksfest war in vollem Gange. Auf der Achterbahn wurden Loopings gedreht, eine Riesenspinne ließ an ihren sich hebenden und senkenden Beinen Gondeln kreisen, von einem hohen Turm sauste eine Kabine im freien Fall hinab, nur das Riesenrad rotierte langsam im Kreis. Der Parkplatz davor, auf der Großen Straße, war voll besetzt, aber kaum beleuchtet. Er sah dort Menschen gehen, konnte sie aber nicht genauer erkennen. Da streifte das Scheinwerferlicht eines ausparkenden Autos in gut 500 Metern Entfernung einen langsam joggenden Fußballfan – der Mörder wollte offenbar im Gewühl des Volksfestes untertauchen.
    Beaufort lief wieder los und hielt sich am dunklen Ufer unterhalb der Großen Straße, damit ihn der Verfolgte nicht sehen konnte.

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