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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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nett im Stadion, es gefiel ihm besser, als er gedacht hatte.
    Auf dem Weg hinunter geriet Beaufort im Menschengewühl auf Abwege und verirrte sich schließlich in einen Gang, der zu den Toiletten führte. Selbst wenn er gemusst hätte, würde er bei seiner Phobie vor öffentlichen Bedürfnisanstalten bestimmt kein Stadionklosett aufsuchen. Also machte er wieder kehrt und stand unversehens vor einem jungen Mann mit nacktem Oberkörper und weißblonden Haaren. Tronkas blasse Brust war haarlos, er roch nach Bier und schwankte ein wenig. Trotzdem erkannte er Beaufort sofort, sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. Da er nicht wusste, ob ihn der Neonazi mit der Festnahme von Hinz und Nagelschmidt in Verbindung bringen würde, überlegte er, wie er sich zurückziehen könnte, um einer weiteren handgreiflichen Begegnung auszuweichen. Doch Tronkas Reaktion auf dieses unerwartete Zusammentreffen war alles andere als feindselig. Der Neonazi tappte auf ihn zu und klopfte Beaufort jovial auf die Schulter.
    »Du bisein echter Freund der Bewegung«, lallte er. »Danke, dassu uns nich angezeigt hast bei den Bullen.«
    Tronkas Aussprache war etwas feucht, und Beaufort war sich nicht klar darüber, ob er Sympathiebekundungen dieser Art dem gewalttätigen Verhalten bei ihrer letzten Begegnung wirklich vorziehen sollte.
    »Wo ist denn Ihre Leibgarde geblieben?«
    Der Angesprochene brauchte ein wenig, bis er verstand, dass Beaufort nach seinem Polizeischutz fragte.
    »Haich vorhin abgeschüttelt. Brauchich nich mehr, jetz wo der Mörder gefangen is«, sagte er triumphierend. »Todesstrafe is für die Sau noch viel zu gut.« Er bekräftigte das mit einem ordinären Rülpser.
    Beaufort verkniff leidend sein Gesicht. Es wurde Zeit, dass er sich aus den Fängen dieses betrunkenen Kretins begab. Er versuchte sich an ihm vorbeizuschieben.
    »Halt! Wo wissu denn hin?« Tronka packte ihn erstaunlich fest am Arm. »Ich werdir zum Dank ein Geheimnis verraten.«
    »Und was soll das für ein Geheimnis sein?«
    »Wassüber den Mörder, wassie Bullen noch nich wissen.« Er kicherte. »Daniel hat ihnen nich alles erzählt, oh nein.«
    »Was ist es?« Jetzt war Beaufort doch neugierig geworden.
    »Psssst.« Tronka versuchte seinen Finger an die Lippen zu legen, traf aber nicht mal sein Gesicht. »Dassachich dir gleich. Zuers muss ich brunzen.« Und damit torkelte er auf die Toilette.
    Sollte Beaufort das ernst nehmen? Wahrscheinlich war es nur das Gewäsch eines Betrunkenen. Andererseits konnte Daniel Tronka tatsächlich etwas über den Mörder wissen, was sein langhaariger Kumpel der Polizei verschwiegen hatte. Womöglich war es sogar ein entscheidender Hinweis? Er entschloss sich, doch zu warten. Vereinzelt kamen und gingen noch Fans durch den Gang, dann hörte das auf. Die zweite Halbzeit hatte begonnen. Beaufort merkte das, auch ohne auf die Uhr zu schauen, an dem Lärm über sich. Nicht, dass er sich so brennend für den Fortgang des Spiels interessierte, aber langsam dauerte es ihm zu lang. Über fünf Minuten war Tronka nun schon da drinnen. Ob der Rechtsextreme auf dem Klo eingeschlafen war?
    Nachdem zwei weitere Minuten verronnen waren, fasste er sich ein Herz und ging nachschauen. Er wollte gerade die Tür öffnen, als ein Club-Fan aus der Toilette rauschte. Wäre Beaufort nicht geistesgegenwärtig ausgewichen, wären die beiden voll zusammengestoßen. Der Typ schaute nicht hin, weil er gerade einen Eddingstift in seine schwarzrote Trainingsjacke steckte. Ohne sich zu entschuldigen, marschierte er den Gang entlang. Ungehobelter Kerl, brummelte Beaufort und ging endlich hinein.
    An den Waschbecken war niemand zu sehen, auch vor den Pissoirs stand keiner. Der große weißgekachelte Raum war leer. Er öffnete die nächste Tür und betrat den Trakt mit den WCs, rechts und links eine Reihe geschlossener Kabinen, aber ein rotes Besetztzeichen entdeckte er nicht. Wo war Tronka? Beaufort blieb stehen und horchte. Es herrschte eine beklemmende Stille. Sein Herz schlug heftig bis zum Hals, er spürte wie das pulsierende Blut durch die Karotisarterie in sein Gehirn gepumpt wurde. Und dann hörte er doch etwas: Es war ein leises, regelmäßiges Tropfen. Er folgte dem Geräusch bis er vor einer der hinteren Kabinen stand. Das Wort »Frei« stand oberhalb der Türklinke geschrieben, der Neonazi hatte offenbar vergessen, hinter sich abzuschließen. Er klopfte, und unter dem Druck seiner Fingerknöchel schwang die Tür lautlos nach innen auf. Dort

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