Requiem
schüttelte den Kopf, aber er schnitt sich ein dickes Stück vom Gugelhupf ab. Er setzte sich wieder und hatte beim ersten Bissen eine Idee.
»Sag mal, gibt es nicht Neonazis, die paramilitärische Kriegsspiele machen, mit Handgranatenwerfen und Durchs-Unterholz-Robben und ähnlichem Unfug? Es könnte doch sein, dass unser Toter zu so einer Wehrsportgruppe gehört hat.«
»Ich erinnere mich dunkel, dass vor Jahren so eine militante Gruppe in der Fränkischen Schweiz aktiv war und dann vom bayerischen Innenminister verboten wurde. Aber da muss ich Katja fragen. Die kennt sich in unserer Redaktion am besten in der Szene aus, weil sie immer mal wieder darüber berichtet, etwa über die Aufmärsche der Rechten in Wunsiedel am Grab von Rudolf Heß und den Protest der Bevölkerung dagegen. Aber worauf willst du hinaus?«
»Stell dir mal vor, die üben bei ihren militanten Spielen auch Kidnapping oder Feindbetäuben, oder was weiß ich, wie das genannt wird. Die teilen sich doch bestimmt in die Guten und die Bösen auf, wie wir damals, wenn wir als Kinder Cowboy und Indianer gespielt haben. Und beim Umgang mit K.o.-Tropfen ist es dann zu einem folgenschweren Betriebsunfall gekommen.«
»Du meinst, dieser Sebastian hat aus Versehen eine Überdosis von den eigenen Kameraden abbekommen?« Anne sah ihn skeptisch an. »Und dann machen die so eine Art Staatsbegräbnis in der Ehrenhalle, damit es auch alle mitbekommen? Das klingt aber ziemlich an den Haaren herbeigezogen.«
»Nein, überhaupt nicht«, verteidigte Beaufort seine These. »Hast du noch nie etwas von der doppelten Finte gehört? Gerade weil es so unwahrscheinlich ist, dass sich die Rechtsextremen mit dieser Inszenierung selbst ins Fadenkreuz der Ermittlungen bringen, ist was dran. Was wollen diese Neonazis denn grundsätzlich erreichen? Sie wollen, dass ihr in den Medien über sie berichtet. Je mehr über die NPD und die anderen rechtsextremen Parteien geredet und geschrieben wird, auch wenn es noch so negativ ist, desto besser für sie, das empfinden sie als Publicity. Und nehmen wir mal an, es gibt diesen toten Neonazi, der aus Versehen ums Leben gekommen ist. Warum sollten einige Zyniker aus diesem Verein den Toten nicht für ihre eigenen Propagandazwecke nutzen?«
»Du meinst: Hitlerschnauzer aufgemalt, SS-Rune eingeritzt, Hakenkreuzfahne um die Leiche gewickelt, und schon wird aus einem zufälligen Toten das Opfer eines linken Nazihassers? Das wäre ja ein teuflisch guter Plan. Selbst schuld an dem Tod zu sein, aber sich der Öffentlichkeit als Opfer zu präsentieren. Besser ließe sich ein solcher Unfall nicht nutzen, um das eigene Image aufzupolieren.«
Beaufort befeuchtete seinen Finger, um auch noch die letzten Krümel seines Kuchens aufzustippen. »Siehst du, jetzt findest du langsam Gefallen an meiner Theorie. Schade nur, dass sie sich so schwer beweisen lässt. Ich kenne mich in dieser Szene überhaupt nicht aus.«
»Ich auch nicht. Aber das kann ich dir garantieren: Es ist äußerst unappetitlich und nicht ungefährlich, in diesem braunen Sumpf herumzustochern.«
»Nur die Sache mit dem blau gefärbten Ei ist mir nicht klar. Wenn es wenigstens ein braunes Hühnerei gewesen wäre, dann hätte man sich etwas dazu denken können. Aber so?«
»Wahrscheinlich lag es da schon eine Weile herum und hat gar nichts mit dem Fall zu tun. Einfach ein gut verstecktes, übriggebliebenes Osterei«, mutmaßte sie.
Es klingelte an der Wohnungstür. Sie schaute ihn fragend an. »Erwartest Du noch jemanden?«
»Nur Frau Seidl, die mir etwas zurückbringen wollte.« Beaufort ging in den Flur öffnen, wechselte ein paar Worte mit seiner Haushälterin an der Tür und kehrte in die Küche zurück.
Anne war neugierig. »Was hat sie dir denn gebracht?«
»Deinen Autoschlüssel.«
»Aber den habe ich ihr doch gar nicht gegeben.«
»Nein, aber ich habe es getan.«
Anne stemmte die Hände in die Hüften. »Du willst doch nicht etwa sagen, dass du Frau Seidl mein Auto geliehen hast, ohne mich zu fragen?«
»Anne«, sagte er und gab ihr einen sanften Kuss. »Du bist unwiderstehlich, wenn du wütend wirst. Frau Seidl brauchte den Schlüssel, um den Mechaniker hineinzulassen.«
»Mein Auto ist nagelneu! Da gibt es nichts zu reparieren.«
»Aber zu installieren. Er hat dir eine Freisprechanlage eingebaut.«
»Ohne mein Handy?«
»Das habe ich Frau Seidl auch gegeben«, sagte Beaufort gelassen. »Ich möchte ja nicht, dass du aus Unkonzentriertheit einen Unfall
Weitere Kostenlose Bücher