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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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berühmtesten Gerichtssaal Deutschlands, dem Schwurgerichtsaal 600, in dem die Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Verbrecher stattgefunden hatten, war er kaum je in einem der Räume gewesen. Und davon gab es immerhin über 600, in denen etwa 1 500 Justizmitarbeiter beschäftigt waren.
    Beaufort machte sich schon auf eine lange und umständliche Wegbeschreibung des Pförtners gefasst, als sein Blick von der großen rothaarigen Frau gefesselt wurde, die das Gerichtsgebäude betrat. Mit ihrem aufrechten, geschmeidigen Gang und dem im Takt ihrer klappernden Stöckelschuhe wippenden Rock verwandelte sie die Vorhalle in einen Laufsteg. Anne hatte recht gehabt: Lotti Bruns war ein Hingucker, und ausnahmslos jeder Mensch hier, egal ob Mann oder Frau, drehte sich nach ihr um.
    Beaufort trat ihr in den Weg und sprach sie an: »Frau Bruns?« Es war mehr eine höfliche Feststellung als eine Frage, die sie mit einem automatischen Nicken beantwortete. Erst dann betrachtete sie ihn genauer und ließ ihren musternden Blick an ihm hinab- und wieder heraufgleiten, bis sie ihm schließlich ins Gesicht sah und lächelte.
    »Verzeihen Sie, wenn ich Sie hier so einfach anspreche. Mein Name ist …«
    »… Frank Beaufort«, ergänzte sie freundlich und reichte dem erstaunten Hobbydetektiv die Hand zum Gruß.
    »Sie kennen mich?«, fragte er, sich hinabbeugend und ihr einen formvollendeten Handkuss gebend. Lotti Bruns zuckte mit keiner Wimper und ließ es geschehen, als nähme sie Huldigungen dieser Art täglich im Dutzend entgegen.
    »Anne hat mich vorhin angerufen und mir gesagt, dass Sie meine Hilfe brauchen könnten.«
    Sie hatte das volle Haar und den blassen Teint echter Rothaariger, und sie beging, wie Beaufort bemerkte, nicht den Fehler, sich die Lippen zu rot zu schminken, was die Wirkung ihrer Haarfarbe geschwächt hätte.
    »Aber ich hätte doch auch jemand anderes sein können«, sagte er verschmitzt.
    »Nein, ganz bestimmt nicht. Anne hat Sie mir beschrieben.«
    »Und was hat Sie Ihnen alles erzählt?«
    »Gar nicht viel. Sie sagte, Sie sähen so aus, wie ich mir einen echten Gentleman vorstellen würde. Und dann erwähnte sie noch Ihre Schuhe und Ihre blauen Augen. Sie sehen, es war nicht schwer, Sie zu erkennen.«
    Beim Schuhwerk war Beaufort ebenso wählerisch wie die vier Ladys aus Sex and the City , nur dass er natürlich keine Manolos oder Paul Smith-Sandaletten trug, sondern handgefertigte Maßschuhe, die er sich aus London kommen ließ.
    »Oh ja, Anne ist sehr gut im Beschreiben.« Beaufort konnte kaum glauben, dass Lotti Bruns schon um die 50 sein sollte. Er hätte ihr auch Anfang 40 abgenommen.
    »Und wie kann ich Ihnen weiterhelfen? Ich muss nämlich gleich in einen Prozess.«
    »Indem Sie mich dorthin mitnehmen und mir einiges darüber erzählen. Sie sind doch auf dem Weg zur Verhandlung gegen Gessner?«
    Lotti lächelte. »Na, dann mal los. Es ist noch ein Stückchen zu gehen. Und durch den Sicherheitsparcours müssen wir auch noch.«
    Beaufort folgte ihr durch lange linoleumbelegte Gänge und hallige Treppenhäuser.
    »Was ist denn dieser Gessner für ein Typ?«
    »Das werden Sie ja gleich selbst sehen. Ich möchte Ihnen die Vorfreude nicht nehmen.« Sie grinste. »Aber er ist ganz sicher ein Ewiggestriger, ein unverbesserlicher Dogmatiker. Es ist mir schleierhaft, was seine braunen Jünger an ihm finden.«
    »Vielleicht genau das. Was wirft man ihm denn konkret vor?«
    »Volksverhetzung. Gessner ist ein notorischer Holocaust-Leugner. Zweimal wurde er deswegen schon vorbestraft. Diesmal soll er über seine Homepage das Buch eines in Haft sitzenden Gesinnungsgenossen vertrieben haben. In fünf Fällen kann ihm die Staatsanwaltschaft das nachweisen. Außerdem hat er bei einer NPD-Kundgebung letzten Oktober hier in Nürnberg antisemitische Hetzreden geführt.«
    »Und kann man das auch beweisen?«
    »Das ist nicht schwer. Es gibt ungefähr 4 000 Zeugen dafür, denn so viele Gegendemonstranten waren auf der Kundgebung. Ich war selbst mit dabei und habe Gessners Gewäsch gehört. Er hat einen Lautsprecherwagen benutzt – damit war er sogar im gellenden Pfeifkonzert seiner Gegner zu verstehen. Die Polizei war in mehreren Hundertschaften angerückt, um etwa 200 Rechtsextreme zu schützen, und hatte ganz schön zu tun.«
    »Warum geben die sich nur dafür her?« Beaufort schüttelte den Kopf.
    »Weil sie müssen. Ich kenne etliche Polizeibeamte, denen das auch stinkt. Sie sind schließlich diejenigen, die ihren Kopf

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