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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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das bedeutet ›Heil Hitler‹, denn richtig hinschreiben dürfen sie das ja nicht. Die Ziffern stehen für Buchstaben, und der 8. Buchstabe im Alphabet ist eben das H.«
    »Dann würde ich als Neonazi mein Auto aber in Hamburg anmelden, da gibt es das HH ganz offiziell auf dem Nummernschild.«
    »Vielleicht machen das ja sogar welche. Es gibt da jedenfalls in der Szene ein ganzes System an Abkürzungen, sagt Katja. Aber das mit der 88 ist das Einzige, was ich mir gemerkt habe.«
    Im Lauf der nächsten 20 Minuten betraten noch mehrere Gäste das Lokal, um gleich wieder Richtung Festsaal zu verschwinden. Meistens waren es junge Männer, einmal sogar zwei Glatzköpfe in Bomberjacken und Springerstiefeln, aber auch drei ganz normal gekleidete junge Frauen waren darunter. Nur ein älteres Männer-Duo in nahezu identischem Trachtenlook fiel aus dem Rahmen. Außerdem wurden laufend Tabletts mit Getränken und Teller voller Essen von der Bedienung dorthin geschafft.
    »Na, was habe ich gesagt«, bemerkte Beaufort stolz.
    »Aber ich würde zu gern wissen, was die da drinnen eigentlich machen.«
    »Das werden wir wohl kaum rauskriegen.«
    »Vielleicht ja doch.« Anne stand auf und schnappte sich ihre Handtasche. »Ich geh dann mal aufs Klo.« Und weg war sie.
    Beaufort wartete. Er trank sein Glas leer und spielte mit dem Bierfilz. Schon über fünf Minuten war Anne jetzt fort. Die Gaststube hatte sich bis auf den Mann am Tresen geleert. Er fing langsam an, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Einer der Neonazis, ein kräftiger Kerl in Lederjacke, kam an die Theke, ließ sich ein Weizen geben, schenkte sich in aller Ruhe fachmännisch das hohe Glas ein, nahm einen kräftigen Schluck und verschwand damit wieder hinter der Tür. Als zehn Minuten vergangen waren, hielt es Beaufort nicht mehr aus. Er stand auf und ging durch die Gaststube Richtung Festsaal. Als er nur noch drei Meter entfernt war, sprang die Tür auf und Anne platzte ihm entgegen.
    »Renn!«, rief sie und zog ihn mit sich.
    »Aber ich habe noch nicht bezahlt«, stammelte er.
    »Scheiß drauf!«, schrie sie. »Los! Sie kommen.«
    Beaufort blickte sich kurz um und sah drei junge Männer auf sich zustürmen. Krachend warf er die Eingangstür hinter sich zu und rannte mit Anne durch die Dunkelheit Richtung Auto. Obwohl sie beim Laufen noch in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln suchte, war Anne schneller als er. Sie ließ bereits den Motor an, als er sich auf den Beifahrersitz warf. Schon zerrte der erste Verfolger an seiner Tür. Doch er musste loslassen, als Anne Gas gab. Gelobt sei der Erfinder der Zentralverriegelung, fuhr es Beaufort durch den Kopf. Der Kies spritzte. Die anderen beiden Männer sprangen zur Seite. Im Nu waren sie vom Parkplatz herunter. Mit Vollgas bretterte Anne durch die leeren Straßen der Siedlung. Beaufort drehte sich um. Niemand folgte ihnen. Erst jetzt schaltete Anne das Licht ein.
    »Warst ja ganz schön unauffällig«, sagte Beaufort trocken. »Bin gespannt, was du anstellst, wenn du mal bemerkt werden willst.«

 
    Rex tremendae majestatis
    König schrecklicher Gewalten
     
    6. Kapitel: Donnerstag, 25. April
    Beaufort erwachte vom vielstimmigen Konzert der Singvögel. Ein Amselmännchen auf der Dachrinne, direkt über dem gekippten Schlafzimmerfenster, betätigte sich als lautstarker Vorsänger. Er spürte Annes Wärme neben sich und nahm erst jetzt ihre regelmäßigen Atemzüge in dem polyphonen Gezwitscher wahr. Es war noch fast ganz dunkel, langsam verwandelte sich die Schwärze der Nacht in grauen Morgenschimmer.
    Auf einmal stand ihm der gestrige Abend wieder vor Augen, und mit einem wohligen Schauer dachte er an die ihn abschließenden erotischen Ausschweifungen. Nachdem sie ihre Verfolger abgeschüttelt hatten und Beauforts trockene Bemerkung gefallen war, entlud sich ihrer beider Anspannung in einem unbeschreiblichen Gelächter, das immer wieder aufs Neue angefacht wurde. Sie lachten so ausgiebig, dass es vom Südfriedhof bis zum Maffeiplatz dauerte, ehe sie damit aufhören konnten. Beaufort spürte noch jetzt ein leichtes Ziehen zwischen den Rippen – konnte man dort Muskelkater bekommen?
    Anne hatte ihm dann auf der Heimfahrt erzählt, was sie in den zehn Minuten ihrer Abwesenheit erlebt hatte. Zuerst war sie tatsächlich am Festsaal vorbei zu den Aborten gegangen. Ein muskulöser Kerl mit sehr kurzen Haaren und schwarzer Lederjacke bewachte den Saaleingang und schaute ihr kaugummikauend nach. Durch die nur angelehnte Tür

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