Requiem
schon, dem Verlag, in dem Der Stürmer herauskam, das ätzendste aller antisemitischen Hetzblätter. Leider ein Produkt Nürnberger Verlagskunst. Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid heißt das Buch.«
»Und so einen Unflat restaurierst du?«
»Ich bin nicht der Zensor meiner Kunden. Auch so etwas sollte der Nachwelt erhalten bleiben. Meinst Du nicht?« Sie wischte ihre Hände an der blauen Schürze ab.
»Also ich würde das nicht für geschenkt in meiner Bibliothek haben wollen. Wer garantiert dir, dass ein Sammler solcher Bücher kein verkappter Nazi ist?«, gab Beaufort zu bedenken.
»Ganz ehrlich, Frank, ich will das lieber gar nicht wissen.«
Sie plauderten noch eine ganze Weile über gemeinsame Bekannte, über geschlossene und neu eröffnete Läden in der Altstadt und natürlich über die Morde auf dem Reichsparteitagsgelände, bis Beaufort sich verabschiedete. Als er die Weißgerbergasse hinaufging, um einen Abstecher in die nahegelegene Konditorei zu machen, wo er sich mit einem Tütchen handgefertigter Pralinen eindecken wollte – den Morgenschock auf der Waage hatte er erfolgreich verdrängt –, kamen ihm zwei auffällig gekleidete Männer entgegen. Sie waren um die 60, trugen auf ihren Köpfen hochwertige Baseballkappen aus Tweed und waren in schweren grünen Loden gewandet. Als er stehenblieb, um ihnen nachzuschauen, bemerkte er die typische Kellerfalte ihrer Mäntel. Das waren die beiden Trachten-Kerle aus dem Nazi-Treff in der Gartenstadt, die da gerade in die Buchwerkstatt eintraten. Und Beaufort konnte sich gut vorstellen, was sie dort abholen wollten.
*
Der Taxifahrer setzte Frank Beaufort hinter dem Dokuzentrum am zweiten Kopfbau des riesigen Hufeisens ab. Das kasernenartige Karree aus rotem Backstein hatte sich seit seinem letzten Besuch vor rund anderthalb Jahren ganz schön verändert. Damals hatte er an einem lauschigen Spätsommerabend im Innenhof des Gebäudes, dem Serenadenhof, ein Open-Air-Konzert von Suzanne Vega besucht. Jetzt war mehrere Meter über ihm in die dicke Mauer des abweisenden Gebäudes ein großes rechteckiges Loch geschnitten worden, das den neuen Haupteingang bildete. Eine breite, filigrane Treppe aus Stahl und Stein führte zu einem gläsernen Erker hinauf. Dahinter, so hatte ihm Rosenberg erklärt, befand sich der Probenraum der Nürnberger Symphoniker, der zu einem kleineren, aber vollgültigen Konzertsaal umgestaltet worden war. Da Beaufort etwas zu früh dran war und nicht im Freien warten wollte, stieg er die Treppe hinauf. Die Türen waren verschlossen, aber Beaufort hatte Glück. Im Vorraum war ein Handwerker oder Hausmeister beschäftigt, den er heranwinkte und der ihm öffnete. Er erklärte sein Anliegen und erhielt die Erlaubnis, den Rest der Probe vom Zuschauerraum aus zu verfolgen. Der Mann führte ihn durch das Foyer aus unverputzten Backsteinwänden. Es gab dort eine lange Bar, mehrere runde Bistrotische mit Stühlen und weiter hinten Garderobenschränke, an der Decke liefen zwei dicke Edelstahlröhren entlang. Offensichtlich wollte der Architekt den Rohbau-Charakter des niemals fertiggestellten Gebäudes nicht zerstören. Das Innere des Saals, den er jetzt betrat, war im Gegensatz dazu komplett umgestaltet worden. Um den akustischen Anforderungen gerecht zu werden, hatte man hier kein Stückchen der roten Ziegelwand freigelassen. Alles war mit Holz verkleidet, auch die säulenartigen Vorsprünge, in die flächige Lichtelemente integriert waren. Doch brannten die nicht, denn von links fiel sanftes Tageslicht durch große Fenster, die den Blick auf den malerischen Großen Dutzendteich freigaben. Schräg hinten blitzte die Zeppelintribüne durch die Bäume. Der erste Farbeindruck im Saal war ein kräftiges Orange. Denn in diesem Ton waren die etwa 400 Sitze gepolstert, die in sanft absteigenden Reihen zur Bühne hinunterführten. Dort unten, etwas eng gedrängt in einem Halbkreis, saßen die Symphoniker in Straßenkleidung und lauschten den Worten des Dirigenten. Es waren an die 100 Musiker; das üblicherweise nicht so große Orchester musste durch Zusatzkräfte verstärkt worden sein. Hier wurde wohl etwas besonders Aufwendiges geprobt.
Beaufort ging leise die Parkettstufen hinunter und setzte sich in eine der mittleren Reihen an den Rand. Er entdeckte Rosenberg in der großen Gruppe der Blechbläser – er trug ein kariertes Hemd und eine Blue Jeans. Dann nahmen die Schlagzeuger seinen Blick gefangen, weil sie
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