Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
Vom Netzwerk:
der die Taten aufs Schärfste verurteilt. Das hat er bestimmt auch getan, um Leute wie dich vom Spekulieren abzuhalten.« Rosenbergs Stimme klang aggressiv.
    »Ich sage doch gar nicht, dass es ein Jude ist. Ich frage nur, ob es einer sein könnte. Und nach dem, was du mir gestern Morgen an der Zeppelintribüne über Gessner gesagt hast, ist diese Vermutung ja nicht ganz von der Hand zu weisen.«
    »Zu meinen Äußerungen stehe ich. Um diesen Volksverführer ist es nun wirklich nicht schade. Aber mich kotzt diese ganze Diskussion schon wieder an. Allein, dass ich mich vor dir als Jude rechtfertigen muss. Ich bin Franke, ich bin Musiker, ich bin ein Mann, ich bin Schachspieler, ich bin Club-Fan und irgendwo bin ich auch Jude. Aber du tust mich einfach voll in diese Schublade.« Seine Stimme war laut geworden.
    »Was ist denn mit dir los? Seit wann bist du so dünnhäutig? So kenne ich dich ja gar nicht.« Beaufort war wirklich erstaunt über die heftige Reaktion seines Bekannten.
    »Na, ist doch wahr. Ich dachte, wir wollten uns einen netten Abend machen. Und jetzt kommst du dauernd damit«, maulte Rosenberg.
    »Ich konnte ja nicht wissen, dass dich das Thema so in Rage bringt. Wechseln wir es doch einfach. Was macht denn Sabine?«
    »Sabine hat seit September ein festes Engagement am Landestheater Kiel. Wir führen eine Fernbeziehung«, sagte er missmutig.
    Damit war ein neuer Gesprächsstoff gefunden. Die beiden erörterten ihre Beziehungsprobleme und verfielen schon bald in schulterklopfende Männersolidarität. Da sie jedoch sehr gut wussten, dass Kummer dieser Art leicht zu Volltrunkenheit führen konnte, am nächsten Morgen aber trotzdem nichts gewonnen war, verabschiedeten sie sich nach dem zweiten Bier voneinander. Es war Rosenberg, der die Tafel plötzlich aufhob, weil er jetzt dringend mit seiner Freundin telefonieren musste, wie er sagte.
    Ein merkwürdiger Abend war das, dachte Beaufort, als er in der milden Nachtluft heimwärts spazierte. Nach dem üppigen Essen brauchte er dringend etwas Bewegung. Warum hatte David so gereizt auf seine Spekulationen reagiert? Hatte er am Ende etwas mit der Sache zu tun? Dass er sich auf dem Reichsparteitagsgelände gut auskannte, stand außer Frage. Und immerhin war er in unmittelbarer Nähe beider Tatorte gewesen. Hieß es nicht in Kriminalromanen, dass es manche Täter an den Ort ihrer Untaten magisch zurückzog? So ein Quatsch, rief Beaufort sich zur Ordnung. Du wirst doch jetzt nicht David verdächtigen. Dieser Bio-Fach-Mann, dieser Markgraf, war schließlich auch an beiden Tatorten gewesen. Er musste doch endlich mal nachschauen, was er über den im Internet finden konnte.
     
    *
     
    »Seufzend steh ich schuldbefangen, schamrot glühen meine Wangen, lass mein Bitten Gnad erlangen.«
    Er stand verborgen im Schatten eines Baumes am Rande der Siedlung. Kein Mensch war zu sehen, er war allein. Nur ganz selten fuhr ein Auto die Lohestraße entlang. Doch er war nicht so ruhig wie sonst, wenn er den Plan ausführte. Der starke Geruch des Gemüsefeldes zu seiner Rechten störte ihn. Es roch würzig und beißend nach Frühlingszwiebeln, Knoblauch oder Porree. Und er war immer noch wütend auf sich. Zu dumm, dass ihm das Brotzeit-Ei auf der Tribüne aus der Tasche gefallen war und er es nicht bemerkt hatte.
    »Hast vergeben einst Marien, hast dem Schächer dann verziehen, hast auch Hoffnung mir verliehen.«
    Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Gleich würde der letzte Linienbus kommen. Und dann würde es geschehen. Der Plan musste erfüllt werden. Er wechselte das Standbein und griff zum wiederholten Male in seine Jackentasche. Ja, das kleine Fläschchen war noch da. Warum war er heute Abend nur so nervös? Was, wenn er seine Lieben nicht wiedersehen würde? Wenn er keinen Platz zur Rechten des Allmächtigen erhielte? Das durfte nicht sein.
    »Wenig gilt vor Dir mein Flehen, doch aus Gnade lass geschehen, dass ich mög’ der Höll entgehen.«
    Der beinahe leere Bus tuckerte die Straße entlang, stoppte an der Haltestelle und fuhr in die Nacht davon. Da war er: der Feind. Er war als Einziger ausgestiegen und ging zielstrebig in seine Richtung. Merkwürdig, diese langen Haare. Die Nazis waren immer schwieriger zu erkennen. Aber er kannte die Mörder genau. Nur noch 30 Meter, dann würde er direkt an ihm vorbeimarschieren. Er zog sich tiefer in den Schatten des Baumes zurück und tropfte die Flüssigkeit auf den Lappen.
    »Bei den Schafen gib mir Weide, von der Böcke

Weitere Kostenlose Bücher