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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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Schar mich scheide, stell mich auf die rechte Seite.«
    Jetzt passierte der Feind sein Versteck. Die langen Haare wippten im Takt seiner Schritte. Schon hatte er ihn erreicht und umklammert, er presste ihm das Tuch aufs Gesicht. Doch etwas stimmte nicht. Der Feind wehrte sich heftig und wurde nicht sofort bewusstlos. Er hatte ihn zwar fest im Griff, aber es gelang ihm zu schreien. Ein Hund bellte. Er drehte den Kopf und sah, wie in dem Haus gegenüber das Licht anging und ein Mann vor die Tür trat. »Was machen Sie denn da?«, brüllte der in seine Richtung und eilte durch seinen Vorgarten. »Martha, ruf die Polizei! Da ist ein Überfall.« Da ließ er den Feind los, der jetzt besinnungslos zu Boden glitt, und spurtete die Straße entlang. Schnell erreichte er sein im Dunkeln geparktes Auto, sprang hinein und brauste davon.
    »Seufzend steh ich schuldbefangen, schamrot glühen meine Wangen, lass mein Bitten Gnad erlangen.«

 
    Confutatis maledictis flammis acribus addictes
    Wird die Hölle ohne Schonung den Verdammten zur Belohnung
     
    9. Kapitel: Sonntag, 28. April
    Die alte Straßenbahn aus den 50er Jahren hielt an der Endstation Dokumentationszentrum und spie einen schier endlosen Schwall vergnügter Volksfestbesucher aus. Unter ihnen war ein einziger missgelaunter Passagier – das war Frank Beaufort. Wie war er nur auf die Schnapsidee gekommen, an so einem Tag in dieses Gefährt einzusteigen? Eigentlich hatte er bei dem strahlend schönen Wetter einen Teil des Weges zu Fuß zurücklegen und dann ein Taxi nehmen wollen. Doch war ihm gleich zu Beginn die fröhlich beflaggte historische Straßenbahn ins Auge gefallen, die an diesem ersten Volksfestsonntag extra aus dem Depot geholt worden war, und er war kurzentschlossen aufgesprungen. Diesen kleinen Nostalgieschub genoss er genau zwei Stationen lang, dann waren am Plärrer auf einen Schlag hunderte von Menschen zugestiegen. Es war den langen Rest der Strecke so brechend voll in seinem Waggon gewesen, dass er selbst noch die aneinandergepressten Teenies auf einem Shakira-Konzert um den Platz beneidete, den sie dort hatten. Der einzige Vorteil im Vergleich dazu war, dass seine Mitfahrer wenigstens nicht hysterisch kreischten.
    Da stand er nun, endlich befreit, etwas derangiert und eine knappe halbe Stunde zu früh. Jetzt musste er Zeit totschlagen und hatte doch tatsächlich vergessen, ein Buch einzustecken. Anstatt dem Strom der Menschen nach rechts zum Frühlingsfest zu folgen, wandte sich Beaufort in die entgegengesetzte Richtung, zum Dokuzentrum, wo schon nach ein paar Schritten ein Plakat seine Aufmerksamkeit erregte. »Lebt Hitler?«, stand darauf in großen Lettern, und darunter: »Neue Gefahren durch Gentechnik«. Er las, dass man im ehemaligen Führerbunker in Berlin unter den persönlichen Sachen des Diktators ein Haar von ihm entdeckt hatte. Aufgrund der Fortschritte in der Gentechnik sei es möglich, daraus Stammzellen zu gewinnen, mit denen man unter Umständen einen neuen Hitler klonen könne. Bevor weitere Schritte unternommen würden, sei das Haar jetzt erstmals unter großem Sicherheitsaufwand im Dokumentationszentrum zu besichtigen.
    So ein Schmarrn, dachte Beaufort. Soweit er wusste, war das Klonen von Menschen technisch noch gar nicht machbar. Wünschenswert war es sowieso nicht. War das nur ein Vorwand, um Führer-Devotionalien auszustellen? Aber er war neugierig geworden, ging die schmale, lange Treppe hoch und betrat nach genau einer Woche erneut die Vorhalle des Zentrums. Diesmal interessierte er sich weder für den Museumsrundgang noch für die Toiletten, sondern kaufte ein Ticket für die neue Sonderausstellung.
    Am Eingang reihte er sich in die kleine Besucherschlange ein, die von zwei schwarzgekleideten Sicherheitsleuten zurückgehalten wurde. Im Minutentakt ließen sie je einen Menschen hinein. Nach fünf Minuten durfte auch Beaufort passieren und betrat einen in blaues Licht getauchten Vorraum. Dort forderten ihn zwei weitere Security-Männer auf, eine Einmalhaube aufzusetzen, was er unter Stirnrunzeln tat. Außerdem schärften sie ihm ein, dass er in der Ausstellung weder lächeln noch in die Kameras schauen dürfe. Kostümiert wie eine Mischung aus einem Bäckermeister und Professor Brinkmann auf dem Weg zum OP betrat er den großen Ausstellungssaal. Der war nahezu vollständig leer und rundum abgedunkelt. Nur in seiner Mitte stand in gleißendem Scheinwerferlicht eine etwa ein Meter hohe rote Stele, auf der ein kleines

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