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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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da oben hinschauen, erkennen Sie, dass damals vieles mehr Schein als Sein war.« Renzo deutete in die Höhe, wo das Ende des Hufeisens in den niedrigeren Kopfbau überging. Dort lugten rote Backsteine hinter dem grauen Granit hervor.
    »Sie meinen, das sind gar keine massiven Quader, sondern nur Granitplatten, mit denen das Kolosseum verkleidet wurde?«
    »So ist es«, bestätigte der Historiker, »das ganze Gebäude ist komplett mit Ziegelsteinen gemauert. So viel Granit konnten die gar nicht herschaffen. Aber auch an diesen Platten klebt noch das Blut hunderter von KZ-Häftlingen. Ein Teil des Granits stammt aus der Oberpfalz, aus dem Konzentrationslager Flossenbürg. Das war ein Lager ohne Gaskammern. Dennoch starben dort die Menschen massenweise an Schwäche, Unterernährung und Krankheiten. Sie mussten in den Steinbrüchen schuften, bis sie tot umfielen. »Vernichtung durch Arbeit« lautete der Slogan, nach dem die Nazis dort mordeten.«
    »Entsetzlich«, sagte Beaufort. Er hatte nicht gewusst, wie eng der Nazi-Protz hier mit dem Leid der Opfer des Regimes verknüpft war.
    Renzo zeigte ihm daraufhin auf einer Karte, wo sich damals auf dem Gelände die Kriegsgefangenenlager und der Märzfeld-Bahnhof befunden hatten. Denn von dort waren die Nürnberger Juden in die Vernichtungslager deportiert worden. Er ließ aber auch die Geschichte des Kolosseums nach dem Krieg nicht unerwähnt. Während sie am Dutzendteich entlangspazierten und auf dem Wasser die Tretboote fahren sahen, darunter auch das stadtbekannte in Form eines weißen Schwans, erzählte er vom nicht immer feinfühligen Umgang der Stadt mit dieser Nazihinterlassenschaft. Zum Wegsprengen war die Kongresshalle zu groß gewesen, deshalb nutzte man das Gebäude ganz profan als Lagerstätte. Bis heute waren dort THW und Kanuclub, Quelle-Versand und Schulmöbellager untergebracht. Und noch in den 80er Jahren hatte es Pläne gegeben, das mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Gebäude in ein luxuriöses Shopping-Zentrum mit Schwimmbad, Sporthalle und exklusiven Penthäusern inklusive eigener Jogging-Meile auf dem Dach zu verwandeln. Dem hatte der Stadtrat aber dann doch nicht zugestimmt.
    Die beiden Männer überquerten die Große Straße, die heute als Parkplatz für die zahlreichen Autos der Volksfestbesucher diente, und gingen hinüber zum Silbersee. Beaufort erfuhr, dass das kein idyllischer Teich, sondern die mit Grundwasser vollgelaufene Baugrube für das mit Abstand größte Stadion der Welt war. Dieses Deutsche Stadion wäre so gigantisch groß geworden, dass es 400 000 Besuchern Platz geboten hätte. Hitler hatte geplant, nach dem siegreichen Ende des Zweiten Weltkriegs die Olympischen Spiele fortan immer in Nürnberg stattfinden zu lassen. Vor den Toren der Stadt, im Hirschbachtal bei Oberklausen, hatte man damals sogar an einem Berghang verschiedene Neigungswinkel der Tribünen aufgebaut und ausgetestet. Schließlich war es fraglich, was man in den obersten Reihen überhaupt noch von dem Geschehen im Stadion wahrgenommen hätte. Jetzt war der Silbersee ein blubberndes, giftiges Gewässer voller Bauschutt und Munition in der Tiefe. An seinem Ufer warnten mehrsprachige Schilder mit Totenköpfen vor Lebensgefahr, falls man vorhatte, darin zu baden. Einen Schatz gab es dort bestimmt nicht zu heben. Aber falls der Mörder vorhatte, weiterhin Neonazis umzubringen, wäre dies nicht der schlechteste Ort, um eine Leiche zu deponieren, fand Beaufort.
    Danach gingen die beiden wieder an die Große Straße, wo Renzo ihm anhand von alten Schwarzweißfotos etwas über diesen Aufmarschweg und das nicht mehr vorhandene Märzfeld erzählte. Er berichtete von den Dreharbeiten Leni Riefenstahls auf dem Gelände für den Propaganda-Film Triumph des Willens und erklärte, wie es die marschierenden Kolonnen geschafft hatten, auf dieser breiten Straße auch immer schön geradeaus zu laufen. Denn nichts sähe ja lächerlicher aus als Soldaten, die sich in Schlangenlinien fortbewegten. Die Granitplatten der Straße waren so ausgewählt worden, dass sie mit exakt zwei Stechschritten begangen werden konnten. Die Marschierer mussten sich also nur noch auf ihrer Plattenreihe halten, und alles verlief in Reih und Glied. Das fand Beaufort so interessant, dass er es selbst ausprobierte und mit zackigen Stechschritten ein paar Meter exerzierte.
    »Hallo, Herr Pagenstecher, immer noch in unserem schönen Nürnberg zu Gast?«, hörte er eine Stimme von links.
    Mit dem ausgestreckten

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