Requiem
und ich wünsche es dir wirklich –, kann ich dir nur raten, deinen Ehrgeiz etwas zu drosseln. Dir wächst ja schon jetzt die Arbeit über den Kopf. Du solltest dann was anderes dafür aufgeben, zum Beispiel die Bereitschaftsdienste. Und denk daran, ein, zwei Tage unter der Woche frei zu nehmen, wenn du am Wochenende arbeitest.« Katja stand auf, und auch Anne erhob sich.
»Da bekomme ich ja Tipps von der Richtigen. Wer von uns beiden arbeitet denn oft genug sieben Tage die Woche?«
»Du siehst ja auch, was dabei herauskommt. Meine letzten Beziehungen haben alle nicht lange gehalten. Nein, Anne, du wärst ganz schön blöd, wenn du diesen Fang wieder von der Leine ließest.«
Sie gingen zurück ins Studio. Nachdem Anne die Kaffeebecher abgespült hatte, schaute sie noch mal an Katjas Arbeitsplatz vorbei.
»Sag mal, hast du deinen Computer hochgefahren? Bevor ich mich wieder den Clubberern widme, würde ich gern wissen, was der aktuelle Polizeibericht sagt. Ich habe morgen Frühdienst. Vielleicht ist was für meine Regionalnachrichten dabei.«
Katja öffnete die Mails des Polizeipräsidiums Mittelfranken und las Anne die neuen Meldungen vor.
»Die übliche Disco-Schlägerei von betrunkenen Jugendlichen am Kohlenhof. Ein Tankstellenüberfall bei Greding mit ein paar hundert Euro Beute, ein schwerverletzter Motorradfahrer bei Schnaittach, ein Garagenbrand in Fürth und ein K.o.-Tropfen-Überfall auf einen jungen Mann im Knoblauchsland. Nichts Weltbewegendes. Ein neuer Neonazimord ist jedenfalls nicht darunter.« Katja schaute vom Bildschirm zu Anne hoch, die wie elektrisiert wirkte. »Ist was?«, fragte sie irritiert.
*
»Ja, lebt denn der alte Holzmichl noch, Holzmichl noch, Holzmichl noch?«, wollte der Mann in der kurzen Lederhose und dem weiß-blau karierten Hemd auf der Festzeltbühne von den Besuchern wissen. Woraufhin nicht nur seine ebenso sepplhaft gekleideten Mitmusiker, sondern auch etliche sangesfreudige Menschen im Saal mit der Maß in der Hand fröhlich schmetterten: »Ja, er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch!«
Das war angesichts der Todesfälle auf diesem Gelände hier doch mal eine erfreuliche Nachricht, dachte Beaufort spöttelnd und schaute sich suchend im Oxenzelt um. Er war dem antisemitisch gesinnten Trachtenpärchen in gebührendem Abstand über das Volksfest gefolgt, vorbei an Müller’s Mandeln, Glück’s König und Bergmann’s Schmanker’l Hütte . In Sachen falscher Apostroph gab es hier wirklich reichlich Anschauungsmaterial. Die beiden Männer waren nicht gemütlich geschlendert, sondern recht zielstrebig unterwegs gewesen. Nur am Reit-Salon Alt Wien hatten sie gestoppt und den Kindern eine Weile beim Pony-Reiten zugeschaut. Ältere Bedienstete in blauen Uniformen hatten die mal schreienden, mal stolzen Kleinen auf die Rücken der Ponys gesetzt, während eifrige Eltern Fotos geschossen und Filme gedreht hatten. Schließlich waren die Trachtler weitergegangen und kurz darauf im Festzelt des Oxenwirts verschwunden.
Die Bierbänke im Saal waren jetzt am Sonntagmittag recht voll besetzt, und so dauerte es eine Weile, bis Beaufort die beiden wiederentdeckte. Sie saßen etwas abseits in einer der Zunftstuben, ihr hölzernes Separée erinnerte mit naiven Stichen und ein paar Fassrequisiten an das Handwerk des Böttchers. Beauforts Frage, ob noch ein Platz an ihrem Tisch frei sei, wurde mit Nicken quittiert. Sie waren gerade in die Speisekarte vertieft, als auch schon die Kellnerin kam und ihre Bestellungen aufnahm. Die beiden entschieden sich für Schweinshaxen mit Bairisch Kraut und je eine Halbe helles Landbier. Beaufort, der noch keine Speisekarte bekommen hatte, orderte aus strategischen Gründen das Gleiche.
Die beiden Männer, die ihre Hüte abgesetzt und auf die Bank neben sich gelegt hatten, besuchten offensichtlich denselben Friseur, denn sie hatten einen ähnlichen Kurzhaarschnitt. Das graue Haar war gescheitelt, über den Ohren und im Nacken war es ausrasiert. Der etwas Kleinere der beiden trug eine goldgefasste Yves-Saint-Laurent-Brille, die ihm eine beinahe feminine Note verlieh. Entweder waren sie Brüder oder seit ewigen Zeiten ein Paar. Und warum auch nicht? Schließlich musste es auch unter den Rechtsradikalen Homosexuelle geben. Nur dass die sich aus verständlichen Gründen ähnlich schwer damit taten, sich zu outen, wie Fußballspieler oder Priester. Die Männer redeten ziemlich aufgeregt und gestenreich miteinander, aber es war so laut, dass Beaufort
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