Requiem
es von seinem Tischende aus nicht verstehen konnte. »Marina, Marina, Marina«, trällerte es jetzt von der Bühne. Am liebsten hätte er der Kapelle den Saft abgedreht.
Die Kellnerin brachte das Bier, und Beaufort prostete den beiden freundlich zu, was die höflich erwiderten. Wenn er mit ihnen ins Gespräch kommen wollte, musste er sich schon etwas mehr ranwanzen. Als kurz darauf die Haxe serviert wurde, war das seine Gelegenheit.
»Endlich ein gescheites deutsches Gericht«, sagte er, das Fleischstück insgeheim kritisch betrachtend, »dieses ganze ausländische Zeug hier, diese Tortillas und Döner, will doch keiner essen. Also ich jedenfalls nicht.«
»Da haben Sie aber mal recht«, bestätigte der Größere kauend. Und der Kleinere ergänzte: »Genau. Und zu allem gibt’s diese artfremden Pommes Frites dazu, mittlerweile in fast jeder fränkischen Wirtschaft. Hier bei uns isst man Salzkartoffeln, Klöße oder Bratkartoffeln, alles andere sind doch neumodische Fürze.«
Beaufort hatte auf Anhieb ins Schwarze getroffen und legte gleich noch einen Pfeil nach. »Wenn man bedenkt, wie unsere Küche nach dem verlorenen Krieg überfremdet wurde: Pommes Frites, Pizza, Döner und Hamburger hat’s ja praktisch an jeder Ecke. Aber suchen Sie mal eine Wirtschaft, die Königsberger Klopse macht oder einen gescheiten Erbseneintopf. Überall nur diese ausländischen Lokale.« Er säbelte mit einem stumpfen Messer an seiner trockenen Haxe herum.
»Na, Sie trauen sich ja was«, erwiderte der Größere. »Haben Sie keine Angst, als fremdenfeindlich zu gelten?«
»Ich bin doch nicht ausländerfeindlich, sondern nur inländerfreundlich.« Beaufort versuchte ein hämisches Grinsen. Er wunderte sich selbst darüber, wie locker er hier den Rechtsextremen mimte. »Außerdem überlegt man sich natürlich, zu wem man so etwas sagt.«
Die beiden Alten schauten sich fragend an. »Und wie kommen Sie darauf, dass wir Ihre Ansichten teilen?«, fragte der mit der Goldrandbrille misstrauisch.
Beaufort beschloss alles auf eine Karte zu setzen. »Weil ich Sie am Mittwochabend im Grauen Adler gesehen habe. Ich war auch auf der Versammlung.«
»Wir haben Sie gar nicht bemerkt.« Er klang schon weniger skeptisch.
»Es waren ja auch sehr viele Leute da, nicht wahr? Außerdem war das mein erstes Kameradschaftstreffen. Ich bin neu im Nationalen Widerstand.«
»Nicht so laut«, sagte der Größere entsetzt und drehte sich um. Aber niemand hatte in dem Lärm von ihrem Gespräch Notiz genommen.
»Rücken Sie doch ein Stück näher zu uns«, lud ihn der Kleinere ein. Während die Band spielte und sang: »Ich lass’ mir meinen Körper schwarz bepinseln, schwarz bepinseln und fahre nach den Fidschi-Inseln, Fidschi-Inseln«, rutschte Beaufort auf der Bank hoch zu den beiden. Als die Lederhosen-Truppe bei der Zeile war: »Ich trage nur ein Feigenblatt mit Muscheln, Muscheln, Muscheln und geh mit einer Fidschi-Puppe kuscheln, kuscheln, kuscheln«, stießen die drei schon mit ihren Bierhumpen an. Nach ein paar antisemitischen Phrasen Beauforts war die vorsichtige Zurückhaltung der beiden Alten ziemlich verschwunden und sie hielten ihn für einen Mitstreiter. Um mit seinen Pseudonymen nicht durcheinanderzugeraten, nannte er Pagenstecher als seinen Namen, der etwas Kleinere mit der Brille stellte sich als Hinz, der Größere als Nagelschmidt vor. Als Beaufort sich dann noch als Militaria-Sammler ausgab, war das Eis vollständig gebrochen. Die beiden gestanden ihm, dass auch sie leidenschaftliche Sammler waren. In ihrer Villa am anderen Ufer des Großen Dutzendteiches horteten sie nicht nur zahlreiche verbotene Schriften aus dem Dritten Reich, sondern auch Kinderspielzeuge und Taufgeschenke, die Nazigrößen gehört hatten oder von ihnen verschenkt worden waren. Zu den Prunkstücken ihrer Sammlung zählten sie einige Poesiealben mit persönlichen Widmungen von Streicher, Goebbels und Bormann. Die beiden alten Knaben mussten ziemlich vermögend sein. Wer weiß, was sie mit ihrem Geld noch alles finanzierten, dachte Beaufort, schließlich mussten die kostenlosen Schulhof-CDs mit so grässlichen Bands wie Stahlgewitter oder Endlöser auch von irgendwas bezahlt werden.
Sie beendeten ihre Mahlzeit und Beaufort war froh, dass seine nur halb aufgegessene Haxe, die er unter der Serviette versteckt hatte, endlich abgeräumt wurde.
»Und was gibt es Neues über die Morde hier?«, lenkte er auf sein eigentliches Thema über. »Selbst ich als Neuling spüre
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