Requiem
eine ziemliche Unruhe unter den Kameraden.«
»Haben Sie es denn noch nicht gehört?«, sagte der Bebrillte. »Der Mörder hat wieder zugeschlagen.«
Beaufort war fassungslos. Er war doch gerade erst über das halbe Areal hier spaziert und hatte nichts Auffälliges bemerkt. »Wo?«, fragte er, »hier auf dem Gelände?«
»Nein, in Kleinreuth hinter der Veste, da, wo das Knoblauchsland beginnt. Aber diesmal hat das Schwein Pech gehabt. Unser tapferer Kamerad hat wie ein Held gekämpft und konnte ihm entwischen.«
»Er ist also nicht tot? Hat er den Mörder gesehen?« Beaufort war ganz aufgeregt »Wer ist denn überhaupt angegriffen worden? Und was ist ihm passiert?«
Die beiden Trachtler lächelten wissend und genossen das Interesse. Es bereitete ihnen sichtlich Vergnügen, ihren neuen Bekannten mit den Neuigkeiten zu versorgen.
»Einer der beiden Daniels ist gestern Nacht auf dem Heimweg angegriffen worden. Vielleicht kennen Sie ihn ja? Daniel Gerstenberg, unser Langhaariger.«
Bei Beaufort klingelte es. »Den habe ich, glaube ich, schon gesehen. Ist der nicht manchmal mit einem anderen Kameraden zusammen? So einem Weißblonden?«
»Ja, das ist Daniel Tronka. Aber manchmal ist gut. Die beiden sind dicke Freunde und stecken eigentlich die meiste Zeit zusammen. Sie gehören zu unserer nationalen Elite. Die studieren beide noch, werden aber bestimmt mal zwei Große in unserer Bewegung«, sagte Hinz. Und sein Freund ergänzte: »Diese ganzen Skinheads schaden uns doch mehr, als dass sie uns nützen. Wir brauchen ernstzunehmende junge Leute, die etwas auf dem Kasten haben. Kameraden mit gutem Leumund, die die Partei voranbringen und uns Wähler zuführen.«
Der Größere beugte sich noch weiter vor und kniff verschwörerisch ein Auge zu. »Das heißt ja nicht, dass sie nicht auch mal ab und zu über die Stränge schlagen dürfen. Man will ja nicht immer nur ein Saubermann sein. Das waren wir auch nicht, als wir noch jung waren.«
»Und was ist Daniel gestern Nacht passiert?«
Der Kleinere nahm den Faden seines Berichts wieder auf. »Der Mörder hat ihm aufgelauert, als er aus dem Bus stieg, und versucht, ihn mit K.o.-Tropfen zu betäuben. Aber seine langen Haare haben ihn gerettet. Sie haben sich zwischen Mund und Nase und das Tuch mit dem Betäubungsmittel geschoben. Er hat natürlich trotzdem eine hübsche Dosis abbekommen, aber es geht ihm schon wieder ganz gut. Wir haben ihn vorhin im Krankenhaus besucht. Er darf heute noch nach Hause.«
»Daniel ist ein echter Held«, fiel der Größere ihm wieder ins Wort und bekam ganz glasige Augen. »Er hat uns erzählt, wie er sich gegen dieses blutrünstige Monstrum zur Wehr gesetzt hat. Er hat gekämpft wie ein Löwe. Da zahlt es sich doch aus, dass wir in den Wehrsport investieren.«
»Schießen lernen – Freunde treffen«, hatte Beaufort mal die unfreiwillig komische Annonce eines fränkischen Schützenvereins gelesen. Mit welchem Slogan die rechtsextremistischen Kameradschaften wohl für ihre Kriegsspiele warben? Aber er musste jetzt weiter am Ball bleiben, bevor Nagelschmidt diesen Gerstenberg noch vollends zum Märtyrer hochstilisierte.
»Und was ist mit dem Täter? Kann Daniel ihn beschreiben?«
»Dieser Untermensch ist unerkannt entkommen, obwohl ein aufmerksamer Nachbar die Polizei alarmiert hat«, antwortete der kleinere Hinz. »Leider war es zu dunkel, um das Schwein zu erkennen.«
Und wieder ergänzte der Größere: »Der Held« – er sprach das Wort mit zitternder Ehrfurcht aus – »der Held hat uns aber die Hände des Mörders beschrieben. Große, kräftige Hände sind das gewesen. Und obwohl sie sehr gepflegt waren, hatte er Schwielen an den Fingern.«
Beaufort erstarrte. In der Ferne am Eingang erkannte er einen weißblonden Schopf. Soeben hatte Daniel Tronka das Festzelt betreten, neben ihm ein junger Mann mit dunklem Haar und extremen Seitenscheitel, der ihm auch irgendwie bekannt vorkam. Er musste auf der Stelle verschwinden, seine Tarnung drohte jeden Moment aufzufliegen.
»I will survive«, sang Gloria Gaynor, und Beaufort brauchte einen Moment, bis er realisierte, dass das sein neues Handyklingeln war. Anne hatte es ihm aus dem Netz heruntergeladen, weil sie den Triumphmarsch aus Aida zu abgeschmackt fand, der in dem Telefon voreingestellt war. Er zog es mit einem Ruck aus seiner Sakko-Tasche hervor, erkannte im Display eine BR-Nummer, erklärte den Trachtlern fahrig: »Meine Mutter. Sie entschuldigen«, und hob ab.
»Du, halt dich
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