Requiem
nicht dein Ernst, oder?« Beaufort schüttelte entrüstet den Kopf. »Meinst du, der ist auf irgendeinem Weg hierher zurückgekehrt und nimmt jetzt Rache für seinen toten Freund?« flüsterte er.
»Na, du kannst dir denken, dass die Soko genau das vermutet und auf Hochtouren an der neuen Spur arbeitet. Es ist doch jetzt ziemlich offensichtlich, dass es der Mörder auf die vier Neonazis und ihren Spiritus rector abgesehen hat. Den jungen Kunz und Gessner hat er schon erwischt …«
»... fehlen nur noch die drei anderen: der langhaarige Daniel Gerstenberg, bei dem er es gerade versucht hat, dann ziemlich wahrscheinlich sein Kumpel Daniel Tronka und noch ein dritter. Wer ist das?«
»Ich darf dir keine Namen nennen.«
»Ekki, du willst mir doch nicht dieses wichtige Puzzleteil vorenthalten? Sag’s schon«, drängte er.
Der Justizsprecher kämpfte mit sich und sah sich zögernd um, ob jemand im Café zuhörte. »Er heißt Sebastian Wrede, leistet gerade seinen Wehrdienst ab und ist in einer Kaserne im Landkreis Ansbach stationiert. Mehr erfährst du aber nicht.«
»Und was macht ihr, wenn der Mörder wieder zuschlägt?«
»Wir haben für die drei natürlich Personenschutz angeordnet. Aber noch wissen die nichts davon. So können wir den Mörder vielleicht auf frischer Tat ertappen. Falls wir denn überhaupt auf der richtigen Spur sind. Natürlich geht die Soko auch den anderen Spuren und Hypothesen nach: militanter Linksradikaler oder Autonomer, militanter Ausländer, militanter hier lebender Jude oder Moslem, militanter Ex-Neonazi. Da gibt es ja ein breites Spektrum an Möglichkeiten«
Beaufort wartete immer noch auf seinen Tee und versuchte abermals die Aufmerksamkeit der Triathletin auf sich zu ziehen. Doch die war gerade in ein Gespräch mit einem Paketboten vertieft, der einen Espresso trank.
»Und gibt es irgendwelche Spuren von dem Überfall auf diesen langhaarigen Neonazi?«
»Da bin ich noch nicht auf dem aktuellsten Stand. Der Täter soll mit einem alten blauen Auto geflüchtet sein, in einem Italiener oder einem Franzosen, meint der einzige Zeuge. Aber das ist alles sehr vage.« Ertl schaute auf seine Armbanduhr. »Ich muss wieder ins Gericht zurück, Frank.«
Beaufort dachte an seinen Bekannten David Rosenberg. Der hatte sich immerhin recht komisch benommen, hatte ihr Treffen am Samstagabend früh abgebrochen und fuhr einen alten blauen Renault. Sollte er doch etwas damit zu tun haben? Vorsichtig äußerte es seinen Verdacht schließlich doch gegenüber Ekki.
»Das ist gut, dass du das sagst. Ich gebe die Information weiter. Vielleicht kann jemand von der Soko mal sein Alibi prüfen. Besser die gehen allen Spuren nach.« Ekki erhob sich. »Was ist eigentlich mit unserem Mittwochstreffen? Lassen wir es wegen des Feiertags noch mal ausfallen? Oder verabreden wir uns stattdessen morgen Abend?«
»Morgen passt es gut. Anne ist sowieso den ganzen Tag in München. Soll ich uns beim Rottner einen Tisch reservieren?«
»Super. Zahlst du für mich mit? Ich muss jetzt wirklich los. So ohne Handy fühlt man sich doch ganz schön nackt.«
Der Justizsprecher war schon im Torbogen als Beaufort ihm nachrief: »Ekki, gibst du Anne ein Interview?«
Ertl stoppte kurz und wendete seinen Kopf. »Na gut, sie soll mich anrufen und einen Termin ausmachen«, sprach er und verschwand eilig aus dem Café.
Beaufort blieb sitzen und dachte nach. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er Rosenberg ins Spiel gebracht hatte. Als brutalen Mörder konnte er ihn sich doch nicht vorstellen. Warum hatte er es nur erwähnt, gerade jetzt, wo alles auf den zweiten Asylbewerber als Täter hindeutete? Oder auf jemanden aus der Familie des getöteten Pakistani. Beaufort wollte sich etwas Tee eingießen, aber das Kännchen war immer noch leer. Ein Schatten fiel auf seinen leeren Frühstücksteller. Er schaute hoch und sah in Barbaras gletscherblaue Augen.
»Du brauchst mich nicht extra darauf hinzuweisen«, sagte sie pampig, »mir ist völlig klar, dass ich dich total vergessen habe.«
*
Frank Beaufort klappte den Laptop zu und sah aus dem Fenster seiner Bibliothek. Die Nachmittagssonne tauchte die Kaiserburg in warmes Licht, an der Sebalduskirche stieg ein Schwarm Tauben auf, und über dem Augustinerhof erhob sich wegen der Abrissarbeiten eine dicke Staubwolke. 140 000 Einträge hatte er in Google zu dem Namen Hagen Markgraf gefunden. Der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Bioerzeuger kam ganz schön rum in der
Weitere Kostenlose Bücher