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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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erst vor einer Stunde im Büro erreicht. Ertl war gestern zeitig zum Klettern in die Fränkische Schweiz aufgebrochen, hatte sein Handy in einem Biergarten bei Pottenstein liegen lassen und war spät nach Hause gekommen. Erschrocken über die Vielzahl beruflicher Telefonate auf seinem Anrufbeantworter daheim, fast alle drehten sich um den neuen Überfall auf den jungen Neonazi, war Ekki schon um sieben ins Büro gefahren, um die Liste der Anrufer abzuarbeiten. Als Beaufort endlich kurz nach neun Uhr bei ihm durchkam, hatte Ertl noch einige wichtige Telefonate zu führen, doch ließ er sich von seinem Freund überzeugen, wenigstens kurz mit ihm frühstücken zu gehen. Ekkis Magen hatte so laut geknurrt, dass Beaufort es durch das Telefon gehört hatte.
    Beaufort erkannte Ekki schon von weitem an seinem sportlichen Gang, die Krawatte war ihm über die Schulter geweht. Er war für einen Mann eher klein, dabei kraftvoll und drahtig und trug Nadelstreifen. Beaufort sah heute mehr aus wie ein schottischer Landedelmann, er war in Tweed von den Äußeren Hebriden gewandet und steckte in braunen handgefertigten Lederstiefeln.
    »Wo ist dein Pferd?«, begrüßte ihn Ekki trocken.
    Beaufort musste grinsen. »Der Krawattenschal ist zu viel des Guten, stimmt’s?« Sein Outfit, das musste er eingestehen, wirkte ein bisschen wie eine Verkleidung.
    »Da mach dir mal keine Sorgen«, lachte Ertl, »wenn das hier einer in dieser Stadt tragen kann, dann bist du es. Wollen wir reingehen? Es hat gerade geöffnet.«
    Beaufort hatte gar nicht bemerkt, dass sie genau vor dem Regina standen. Aber mit einem Blick erfasste er, dass sie weder in Tweed noch in Nadelstreifen wirklich gut in diese Café-Kneipe passten. Der Salon Regina hatte den abgenutzten Charme der 70er Jahre und war seitdem anscheinend auch nicht mehr ernsthaft renoviert worden. Im ersten Raum gab es die große Theke mit gepolsterten Barhockern davor, aus denen der Schaumstoff quoll und ein riesiges Büffet mit Biergläsern und Flohmarkt-Vasen. Die Blümchentapete war so alt, dass sie schon wieder originell wirkte. Und auf dem Getränkekühlschrank thronte ein Gartenzwerg, von dem sich nicht genau sagen ließ, welche Rolle ihm hier zufiel: ironischer Akzent oder echtes Bekenntnis. Die beiden Freunde gingen drei Stufen hoch und betraten durch einen Rundbogen die anderen beiden Räume. Hier standen etliche dunkelbraune Tische mit zerkratztem Holzfurnier und dreierlei Sitzgelegenheiten: moosgrüne Samtpolstersessel, braune Holzstühle mit schmuddeligen beige-grauen Sitzpolstern und mit dunkelgrünem Lederimitat bezogene Bänke. Lila karierte Vorhänge an den Fenstern, ein Hochregal mit Pokalen und die mit gelochten Styroporplatten verkleidete Decke rundeten das Ambiente ab. Gäste waren noch keine da. Auch die Bedienung war nicht zu sehen. Aber in der Küche hörte man es rumoren.
    Beaufort setzte sich auf eine Bank, weil er die Hoffnung hegte, dass die wenigstens ab und zu mal abgewischt wurde. Ertl machte es sich auf einem der ramponierten Stühle bequem.
    »Gemütlich, oder? Ich komme gern mal auf einen Capuccino vorbei. Es ist das netteste Café in Gerichtsnähe.«
    Beaufort schaute Ekki über seine Brille hinweg skeptisch an, denn das hatte der tatsächlich ernst gemeint. Er vertiefte sich in die abgegriffene Speisekarte, während der Justizsprecher, der es eilig hatte, Richtung Küche freundlich »Hallo, Kundschaft!« rief.
    »Kundschaft? Hör mir doch auf mit Kundschaft. Die kommt auch nur, wenn sie was von einem will«, röhrte eine tiefe Frauenstimme mürrisch aus dem Off.
    Beaufort kannte etliche nette und zuvorkommende Menschen im Dienstleistungsgewerbe. Er war aber auch mit den Abgründen »fränkischer Freundlichkeit« vertraut, die er von seinen Landsleuten duldend hinnahm, auch wenn er sich als höflicher Feingeist nie daran gewöhnen konnte. Aber so einen markigen Spruch hatte er auch noch nicht gehört.
    »Es ist Barbara«, sagte Ekki so entzückt als habe er gerade odysseusgleich den Klang der Sirenen vernommen.
    »Seit wann stehst du auf Flintenweiber?« Langsam machte Beaufort sich Sorgen um seinen Freund.
    »Wart nur ab, bis du sie gesehen hast. Sie ist phä-no-me-nal.«
    »Wollt ihr etwa Frühstück? Ich bin ganz allein«, bellte Barbara und wischte sich die Hände an ihrer Blümchenschürze ab. Sie war groß, schlank und muskulös, trug ihr blondes Haar kürzer als die beiden Männer, hatte mehrere Piercings in der Nase und sah sie mit Husky-Augen

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