Requiem
Welt. Es gab zahlreiche Artikel über ihn im Internet: Hagen Markgraf bei der Eröffnung einer Bio-Messe in Shanghai, Hagen Markgraf mit italienischen Bioerzeugern am Gardasee, Hagen Markgraf hält einen Vortrag auf einem Nachhaltigkeits-Kongress in Stockholm, Hagen Markgraf im Gespräch mit Globalisierungsgegnern in München, Hagen Markgraf auf seinem Landgut in Mecklenburg, Hagen Markgraf übergibt in Berlin einen Scheck an die Initiative Netz-Gegen-Nazis.de. Ein Unternehmer und Funktionär ohne Tadel. Er hatte sich gleich nach der Wende in der Nähe von Ludwigslust eine ehemalige LPG gekauft und daraus einen biodynamischen Vorzeigebetrieb mit eigener Metzgerei gemacht. Markgrafs Produkte gab es in den meisten Bioläden der Republik zu kaufen. Er hatte es sogar bis in die Endrunde zum Unternehmer des Jahres geschafft. Als Vorsitzender seines Berufsverbandes trug er die Idee biologischen und gewinnorientierten Wirtschaftens hinaus in die Welt. Und als ewig braungebrannter Privatmann unterstützte er zahlreiche soziale und politische Projekte. Darunter faire Handelsabkommen mit indischen Teepflanzern und Aktivitäten gegen Rechtsextremismus. Beaufort hatte sich auch auf wirre Antifa-Seiten im Netz verirrt, die Markgraf ob seines Engagements geradezu selig sprachen. Dieses ganze Bild unterschied sich doch deutlich von dem, das Beaufort bei seiner Begegnung mit ihm vor der Messe gewonnen hatte, als er dort wie ein arroganter Schnösel auftrat. Vielleicht hatte er die Nazi-Schmierereien aber auch als persönlichen Angriff gegen sich empfunden, gerade weil er sich öffentlich so gegen rechte Gesinnungen engagierte.
Beaufort ging von der Fensterfront an den Tisch, auf dem eine gefüllte Obstschale stand. Es wurde Zeit, dass er sich ein wenig in der linksalternativen Szene dieser Stadt umschaute. Das war ein Lebenskreis, mit dem er kaum Berührungspunkte hatte. Ihn interessierte wie man dort über die Morde an den Neonazis dachte, und vielleicht konnte er ja auch etwas über Hagen Markgraf erfahren. Er nahm einen Apfel in die Hand, rieb ihn an seiner Tweedweste und legte ihn doch wieder in die Schale zurück. Dann zog er die Kommodenschublade auf, schob sich ein Trüffel-Ei in den Mund, zog seine Stiefel an und verließ die Wohnung.
Im Erdgeschoss öffnete seine Haushälterin sofort nach dem Läuten, so als habe sie hinter der Tür gestanden. Frau Seidl hatte einen siebten Sinn dafür entwickelt, wann ihr Chef etwas von ihr wollte.
»Gänger’s no a weng fort, Herr Dr. Beaufort?«, fragte sie ihre feuchten Hände in der weißgestärkten Rüschenschürze abwischend.
»Backen Sie wieder?« Seine Augen leuchteten hoffnungsfroh.
»Naa, ich koch. Ich hab doch gestern vo meim Bruder so an Haufn Sauerampfer mitbracht. Jetz mach ich a Besto draus, und vom Rest no mei gute Sauerampfersuppn. Kommt die Frau Kamlin heut zum Abendessn?«
Beaufort nickte.
»Dann stell ich Ihnen an Topf Suppn nauf. Den müssn’s bloß nu warm machen. Und an rotn Bresssack vom Hubers Schorsch vo Gößweinstein hab ich aa wieder mitbracht. Des is halt der beste Bresssack überhaupt. Den mögn sie doch aa so gern. Ich hol nocherd nu a weng a Bauernbrot und an Obatzdn und Radiesler, no ham’s a Superbrotzeit. Glaubn’s mer’s.«
»Sie sind ein echter Schatz.« Beaufort meinte es genau so, wie er es gesagt hatte.
»Ach, Herr Beaufort«, sagte sie leicht errötend, »ich freu mich doch, wenn’s ihner schmeckt. Bloß auf die Frau Kamlin, da müssn’s a weng aufpassn. Die ärbert zu viel und isst einfach net gnuch.«
»Ich arbeite daran. Glauben Sie mir, Frau Seidl, ich arbeite daran«, verabschiedete er sich.
*
Vom Kaspar-Hauser-Platz schlug Beaufort den Weg über die Maxbrücke ein. Auf der Flussinsel leuchtete die Trauerweide im Sonnenschein und ließ ihre Zweige malerisch in die Pegnitz hängen. »Kuck mal, der Baum hat ja ganz lange Haare!«, sagte ein kleines Mädchen an der Hand seiner Mutter und Beaufort musste schmunzeln ob dieser kindlichen Metapherntreffsicherheit. Er ging am Spielzeugmuseum vorbei, kam kurz darauf am Weinmarkt an und steuerte direkt auf seinen Weinhändler zu. Der saß vor seinem Laden allein in der Sonne, ein Glas Weißwein vor sich auf dem Tisch, und grinste ihn an.
»Wo hast du denn dein Pferd gelassen, Frank? Du siehst aus wie ein englischer Lord.«
»Wenn du das für einen originellen Spruch hältst, dann lass’ dir sagen: Du bist nicht der Erste, der mich heute so begrüßt. Hallo, Wolf-Dieter.«
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