Requiem
war denn eigentlich dieser Wrede gestern nicht dabei im Burggraben? Den habe ich überhaupt noch nie gesehen.«
»Der darf die Kaserne nicht verlassen, weil er da am besten geschützt ist. Wir müssen auf jeden Fall einen neuen Mord verhindern.«
Die Kellnerin goss den beiden Freunden vom Silvaner nach und stellte den Bocksbeutel zurück in den Kühler.
»Und wie nimmt er es auf?«
»Er schmollt. Denn im Gegensatz zu den beiden Studenten können wir ihm als Soldat eben Befehle erteilen.«
»Jetzt vergällt ihr ihm auch noch die Militärzeit, das ist doch für einen Neonazi bestimmt die schönste Zeit seines Lebens«, sagte Beaufort mit geheucheltem Mitleid.
»Man merkt dir an, dass du nie gedient hast. Sonst würdest du nämlich wissen: Das Beste an einer deutschen Kaserne ist, dass einem alles, was danach folgt, vorkommt wie der reine Himmel, und sei es auch noch so beschissen.«
»Genau das war auch schon immer mein Eindruck. Deshalb habe ich ja verweigert.« Er schob seinen Stuhl zurück, legte nachdenklich seinen Kopf in den Nacken und betrachtete die kunstvoll bemalte Holzdecke dieses alten Fachwerkhauses, während er Ekki zuhörte, der ein paar Erinnerungen aus seiner Bundeswehrzeit zum Besten gab. Schließlich servierte die Kellnerin in ihrem stilisierten Dirndl den Hauptgang: Lamm-Variationen auf Ingwerpolenta. Dazu wählte Beaufort ein Glas Bordeaux. Bei einer neuen Flasche wollte Ekki nicht mehr mithalten, denn er musste noch fahren.
»Und seid ihr sonst in dem Fall vorangekommen? Irgendwelche neuen Spuren?«
»Seitdem wir vermuten, dass der Mörder eine Art Rachefeldzug wegen des toten Pakistani führt, hat sich die Soko fast ausschließlich auf die neue Spur konzentriert. Aber es ist hochgradig schwierig, mit den Behörden vor Ort Kontakt zu bekommen. Deshalb ist ein Mann von uns nach Pakistan geflogen. Er war in der Hauptstadt und ist nun auf dem Weg zur Familie des Getöteten, die irgendwo auf dem Land, weit weg von Islamabad lebt. Von seinem aus Nürnberg abgeschobenen Kumpel, den wir natürlich in Verdacht haben, gibt es noch überhaupt keine Spur. Offenbar ist er in seiner Heimat sofort untergetaucht, weil er polizeilich gesucht wird. Gut möglich, dass er inzwischen illegal nach Deutschland zurückgekommen ist. Es ist aber auch nicht ganz auszuschließen, dass er in irgendeinem Keller von der Geheimpolizei festgehalten wird, vor der er hierher geflüchtet war.«
Beaufort schob sich eine Gabel mit rosafarbenem Lammrücken in den Mund. Das Fleisch war perfekt gebraten und gewürzt, aber angesichts von Ekkis Ausführungen verging ihm fast der Appetit.
»Wieso wird ein Asylbewerber abgeschoben, wenn er in seiner Heimat verfolgt wird und ihm dort womöglich Folter droht?«
»Frank, jetzt lass uns bitte nicht über das Asylrecht diskutieren. Ich finde auch nicht alles gut, was der Gesetzgeber so verzapft. Aber das ist eine Frage der Politik und nicht der Justiz«, bügelte er ihn ab. »Ich habe jetzt wirklich andere Dinge im Kopf. Ich bin zum Beispiel heilfroh, dass die NPD ihre Erste-Mai-Kundgebung morgen in Stuttgart abhält und nicht wieder in Nürnberg, wie im vergangenen Jahr. Das hätte gerade noch gefehlt, dass die hier einen Trauermarsch für die gefallenen Kameraden veranstalten.«
»Und das womöglich noch auf dem Reichsparteitagsgelände.«
»Das glaube ich kaum. Es werden fast nie Neonazi-Demonstrationen auf dem Areal angemeldet. Abgesehen davon, dass die eh nicht genehmigt würden, schließlich ist das ein nationaler Erinnerungs- und Aufklärungsort. Jeder Generation muss da neu erklärt werden, dass es einen direkten Weg von den Aufmärschen der Nazis zu den KZs und zum Krieg gegeben hat. Aber es hat einen noch viel profaneren Grund. Die Neonazis sind einfach nicht genug Leute, um auf diesem riesigen Areal Eindruck zu schinden.« Ertl trank von seinem Mineralwasser.
»Da ist was dran. Selbst 500 Rechtsextreme auf dem Zeppelinfeld würden nicht viel hermachen.«
»Genau. Aber 500 Neonazis in der Nürnberger Innenstadt oder in einer Kleinstadt wie Wunsiedel, das wirkt viel eindrucksvoller. Die suchen sich schon ihren passenden Rahmen.«
Beaufort aß doch weiter. »Ist eigentlich schon einer der beiden Ermordeten beerdigt worden?«
»Ehrlich gesagt, Frank, wir haben die Leichen absichtlich noch nicht freigegeben. Wir befürchten echte Zusammenstöße mit der Antifa, wenn die hier ein braunes Requiem anstimmen und sich als Opfer hinstellen. Was sie in diesem Fall ja auch
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