Requiem
erkannte Polizeisprecher Stadlober, Kommissar Miederer und noch einige Beamte vom Kriminaldauerdienst wieder, deren Namen er nicht wusste. Während der Justizsprecher sich leise mit einem der Männer unterhielt, betrachtete der Hobbydetektiv vom Ufer aus ein groteskes Schauspiel.
Ein Tretboot in Form eines riesengroßen weißen Schwans glitt wie von Geisterhand gezogen über den See auf sie zu. In ihm stand kein stolzer namenloser Ritter, der um die Hand Elsa von Brabants anhalten wollte, sondern es saß dort ein zusammengesunkener Mann in einem grauen Anzug, der seinen Arm zum Hitlergruß erhoben hatte. Je näher der Schwan auf sie zukam, desto mehr Details erkannte Beaufort. Er sah, dass zwei schwimmende Froschmänner das Tretboot vor sich herschoben. Er sah, dass der Mann tot war und dass seine zum ›deutschen Gruß‹ erhobene Hand mit Klebeband am Schwanenhals fixiert war. Und er sah, dass der Tote einen aufgemalten Hitlerschnauzer trug und dass durch sein rechtes Auge ein Schraubenzieher tief in seinen Schädel getrieben worden war. In Brusthöhe waren Hemd und Anzug blutdurchtränkt. Der Ermordete trug kurzgeschnittenes graues Haar und war etwa Anfang 60. Beaufort hatte den Mann noch nie zuvor gesehen; wie ein typischer Rechtsextremer sah er nicht gerade aus.
»Verdammt«, hörte er Ekkis Stimme neben sich sagen, »das ist Richter Schmidt. Er hat die vier Neonazis aus Mangel an Beweisen freigesprochen.« Beaufort und Ertl schauten sich entsetzt an. »Er hatte keinen Polizeischutz«, sagte Ekki mit brüchiger Stimme. »Wir hielten ihn nicht für gefährdet.«
Frank legte seinem Freund tröstend die Hand auf die Schulter, als ein kleines Blitzlichtgewitter losbrach. Die ersten beiden Fotojournalisten hatten sich eingefunden. Zwar wurden sie schnell von der Polizei abgedrängt, doch waren die Bilder des toten Richters schon auf den Chips ihrer Fotoapparate gespeichert. Hatte sich der Justizsprecher vor ein paar Tagen an der Zeppelintribüne beim toten Gessner noch maßlos über die Journalisten aufgeregt, war er jetzt ganz still.
»Wir können diesen Angriff auf das Rechtssystem sowieso nicht verheimlichen«, sagte er. »Ab morgen wird hier die Hölle los sein. Ich muss dringend den Bayerischen Innenminister anrufen und den Generalstaatsanwalt. Nimmst du dir ein Taxi heim?«
Beaufort nickte. Er fühlte sich bedrückt, leer, niedergeschlagen. Er schaute auf die schwarzen Wellen, die ans dunkle Ufer plätscherten. Wer war der Mensch, der diese Bluttaten vollbrachte? Und was trieb ihn zu dieser ungeheuren Brutalität?
Frierend holte er das Handy aus seiner viel zu dünnen Jacke und rief Anne an. Doch nach dem dritten Klingeln legte er wieder auf und ließ sie weiterschlafen. Stattdessen wählte er die Nummer des Bereitschaftsreporters.
»Roland Salewski«, meldete sich eine müde Männerstimme. Es war ein Uhr nachts.
Benedictus qui venit
Hochgelobet sei, der da kommt
12. Kapitel: Mittwoch, 1. Mai
Es war der kälteste Maianfang seit über 20 Jahren. Außerhalb der Stadt, wo es immer zwei, drei Grad kälter war als innerhalb, hatte es sogar gefroren. Von der rauschenden Pegnitz zu ihrer Linken stieg zusätzlich kühle Feuchtigkeit auf. Beaufort zog den neuen Schal enger um seinen Hals und nahm wieder Annes Hand. Das Paar spazierte durch die Pegnitzauen in Richtung Fürth.
»Gefällt dir der Schal? Ich konnte gestern einfach nicht widerstehen. Habe ich aus einer kleinen Boutique gleich bei der Pinakothek der Moderne.«
Beaufort lobte den Kaschmirschal, dessen schwarzrotes Muster ihn tatsächlich ansprach, ausgiebig. Er wusste, dass es nicht leicht war, ihm etwas zu schenken, und so übertrieb er seine Elogen auf Annes Geschmack ein wenig. Hauptsächlich freute sich Beaufort aber, dass Anne ihrem Vorsatz treu geblieben war und trotz der aktuellen Ereignisse den Tag frei machte. Sie hatte das auch dringend nötig, sagte sie, denn sie fühlte sich überarbeitet und genoss das Beisammensein mit ihrem Freund ebenso sehr wie er.
Der neue Mord auf dem Reichsparteitagsgelände beschäftigte nicht nur die beiden, er war Stadtgespräch. Wer immer ihnen begegnete, wo immer sie auf ihrem Nachmittagsspaziergang hinkamen, überall redeten die Menschen über die blutrünstige Tat. Doch hatte sich etwas in der Bewertung verschoben. Gab es vorher zahlreiche, mehr oder weniger klammheimliche Befürworter, herrschte nach dem Mord an dem Richter einhellige Empörung über den Serientäter. Und nicht nur in Nürnberg
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