Rescue me - Niemand wird dich schützen
dem Wandschrank und schaute sich um. Dieser Raum hatte aufgehört, ihrer zu sein, als sie ins Internat zog. Seither war er lediglich ein Ort, an dem sie schlief, wenn sie dann und wann zu Besuch herkam. Jetzt, wo sie vorhatte, für immer fortzugehen, blickte sie sich nach Erinnerungsstücken um, die sie mitnehmen wollte. Es gab keine. Ihre Mutter hatte das Zimmer vor Jahren renovieren und in ein elegantes Gästezimmer umwandeln lassen. Devons Sachen waren längst verschwunden. Also raffte sie die paar Kleidungsstücke zusammen, die sie vom College mitgebracht hatte, und stopfte sie in die Reisetasche.
Das bezaubernde weiße Kleid, das sie mit so viel Sorgfalt und Vorfreude ausgesucht hatte, bauschte sich auf dem Teppich, als sie hinausstieg. Was für eine hämische Erinnerung an all die Aufregung und Hoffnung, die sie vor dem heutigen Abend empfunden hatte! Devon wandte sich ab und schlüpfte in eine Jeans. Sie wollte sich einen Pulli überziehen, doch ihre Schulter tat so furchtbar weh, als sie die Arme ausstrecken wollte, dass sie sich stattdessen für eine weiche, langärmlige Baumwollbluse
entschied. Mit zitternden Fingern knöpfte sie die Bluse zu.
Ohne sich nach links oder rechts umzusehen, griff sie sich die Tasche, stieg die Treppe hinunter und ging nach draußen in die Nacht. Irgendwann würde sie Henry wiedersehen, ihre Mutter jedoch niemals mehr. Das bisschen Zuneigung, das sie überhaupt noch für die Frau übriggehabt hatte, war endgültig erloschen.
Draußen war es eisig kalt, und ein leichter Nebel verlieh der Dunkelheit etwas Gespenstisches. An der Ecke stolperte sie erleichtert an den Straßenrand, als sie ein Taxi sah, das in ihre Richtung kam. Es war weit nach Mitternacht, und da Taxen um diese Zeit rar waren, besserte sich Devons Stimmung ein klein wenig. Vielleicht war ihr das Glück ja doch nicht ganz abhold.
Obwohl sie schreckliche Angst hatte, musste sie zu Jordan. Alise würde ihn anrufen und sich nach Kräften bemühen, Devons wunderschönstes Erlebnis in den Schmutz zu ziehen. Sie konnte nur beten, dass ihr ein paar Stunden blieben, ehe ihre Mutter zur nächsten Attacke ausholte.
Jordan musste erfahren, dass sie nie geplant hatte, was geschehen war. Die Täuschung, ja, aber nicht das andere. Es war eine ganz besondere Erfahrung gewesen, viel zu wunderbar, als dass Devon sie hätte planen können.
Auf dem Rücksitz des Taxis kauernd, fror sie entsetzlich in ihrer dünnen, leicht klammen Bluse. Warum hatte sie nicht daran gedacht, ihren Mantel aus dem Dielenschrank zu nehmen? In ihrer Reisetasche hatte sie Pullover, doch ihre geprellte Schulter hielt sie davon ab, nach einem zu suchen.
Da kaum Verkehr herrschte, brauste das Taxi die Grayson Street entlang, und Devons Panik wuchs. Je näher sie
Jordans Haus kam, umso schwerer fiel es ihr, ihre Angst zu bändigen. Sie versuchte, sich zu beherrschen, doch sie machte sich nichts vor. Dass er wütend sein würde, stand außer Frage. Ein Mann mit Jordans Stolz und Ehrgefühl würde sich zwangsläufig betrogen und verraten fühlen. Sie musste ihm erklären, dass sie ihn schon seit Jahren liebte und dass sie überdies keine andere Möglichkeit gesehen hatte, ihn dazu zu bringen, sie endlich als Frau und nicht mehr als Kind wahrzunehmen. Und selbstverständlich musste er erfahren, dass ihr Plan nie beinhaltet hatte, mit ihm zu schlafen – auch wenn sie es nicht bereuen konnte.
Seine Wut bereitete ihr keine Sorge. Hatte sie Henry nicht oft genug sagen hören, dass Jordan Montgomery sich in jeder Lebenslage unter Kontrolle hatte? Dass er niemanden kannte, der über mehr Selbstbeherrschung verfügte? Nein, dass Jordan sich verletzt und betrogen fühlen würde, setzte Devon weit schlimmer zu. Es zerriss sie innerlich. Sie musste ihm begreiflich machen, dass sie nie beabsichtigt hatte, ihm wehzutun.
Das Taxi hielt vor dem eleganten Sandsteinhaus, das Devon erst vor Kurzem verlassen hatte. Sie bezahlte den Fahrer und erschrak, wie schnell ihr Geld dahinschwand, sollte sie noch mehr Taxifahrten bezahlen müssen. Zum Glück hatte sie das Flugticket zurück zum College schon.
Eine neue Schmerzwelle rollte über sie hinweg, als sie vor Jordans Tür stand. Nachdem sie alles mit ihm geklärt hätte, müsste sie wohl zu einem Arzt gehen, denn ihre Schulter war entweder ausgekugelt oder übel geprellt. So oder so sollte sie geröntgt werden und wahrscheinlich in einer Schlinge ruhiggestellt.
Devon schloss die Augen und holte tief Luft. Sie nahm
sich
Weitere Kostenlose Bücher