Resident Evil - Sammelband 01 - Die Geburt des Boesen
S.T.A.R.S.-Niederlassung in Raccoon City. Sie wird derzeit von Captain Albert Wesker geleitet, der diese Position seit knapp sechs Monaten bekleidet …
EINS
Jill war ohnehin schon reichlich spät dran für das Briefing, als sie es auf dem Weg zur Tür zu allem Überfluss auch noch schaffte, die Schlüssel in ihrem Kaffee zu versenken. Sie landeten mit einem gedämpften Geräusch auf dem Tassenboden, und als Jill innehielt, um das dampfende Gebräu ungläubig anzustarren, entglitt ihr der dicke Aktenstapel, den sie unter dem Arm trug, und segelte zu Boden. Büroklammern und Haftnotizen verteilten sich großzügig über den gelbbraunen Teppich.
„Shit!“
Während Jill sich mit der Tasse in der Hand zur Küche umwandte, warf sie gleichzeitig einen Blick auf ihre Armbanduhr. Wesker hatte das Meeting für Punkt 19.00 Uhr anberaumt. Das hieß, ihr blieben noch ungefähr neun Minuten, um die zehnminütige Fahrtstrecke zurückzulegen, einen Parkplatz zu ergattern und ihren Hintern auf einen Stuhl zu pflanzen. Die erste umfassende Einsatzbesprechung seit S.T.A.R.S. den Fall bekommen hatte – verdammt, die erste richtige Besprechung seit Jill selbst nach Raccoon versetzt worden war –, und sie würde zu spät kommen.
War ja klar. Wahrscheinlich das erste Mal in Jahren, dass es mir nicht scheißegal ist, ob ich pünktlich bin, und ich schaff es gerade mal bis zur Tür …
Halblaut vor sich hinfluchend eilte Jill zur Spüle zurück. Sie stand wie unter Strom und war wütend auf sich selbst, weil sie sich nicht eher auf den Weg gemacht hatte. Der Fall war daran schuld, dieser gottverdammte Fall. Sie hatte sich ihre Kopie der Akten gleich nach dem Frühstück besorgt und den ganzen Tag damit zugebracht, die Berichte durchzuackern, auf der Suche nach irgendetwas, was die Cops womöglich übersehen hatten – und ihre Enttäuschung war mit dem Fortschreiten des Tages gewachsen, weil sie einfach nichts Neues hatte finden können.
Sie leerte die Tasse in den Ausguss, angelte sich den nassen Schlüsselbund und wischte ihn an ihrer Jeans ab, während sie bereits wieder zur Wohnungstür zurückhastete. Unmittelbar davor ging sie in die Knie, um die Akten aufzusammeln. Doch plötzlich hielt sie inne und starrte auf das farbige Hochglanzfoto, das obenauf zum Liegen gekommen war.
Die armen Mädchen …
Jill hob die Photographie langsam auf. Sie war sich völlig bewusst, dass sie eigentlich keine Zeit hatte, und doch war sie nicht imstande, den Blick von den winzigen, blutbesudelten Gesichtern abzuwenden. Sie spürte, wie sich die Knoten der Anspannung, die sich den Tag über in ihr gebildet hatten, noch fester zusammenzogen, und für einen Moment war alles, was sie tun konnte, einfach nur atmen, während sie das Tatortfoto anstarrte.
Becky und Priscilla McGee, neun und sieben Jahre alt. Die Male davor hatte Jill das Bild überblättert, weil sie sich gesagt hatte, dass nichts darauf sein würde, was sie unbedingt sehen musste …
… aber das stimmt nicht, oder? Du kannst dir weiterhin etwas vormachen, oder du kannst es zugeben – alles hat sich geändert. Alles hat sich geändert seit dem Tag, an dem sie starben.
Unmittelbar nachdem sie nach Raccoon gezogen war, hatte Jill unter großem Stress gestanden. Sie hatte sich unsicher gefühlt wegen der Versetzung, war sich nicht einmal sicher gewesen, ob sie bei S.T.A.R.S. bleiben wollte. Sie war gut in ihrem Job, hatte ihn jedoch nur wegen Dick angenommen; nach der Anklageerhebung hatte er sie dazu gedrängt, sich eine andere Arbeit zu suchen. Es hatte eine Weile gedauert, aber ihr Vater war hartnäckig. Ein ums andere Mal hatte er ihr gesagt, dass schon ein Valentine hinter Gittern einer zu viel sei, hatte nicht einmal davor Halt gemacht, ihr zu eröffnen, dass es ein Fehler gewesen sei, sie so zu erziehen, wie er es getan hatte. Aufgrund ihrer Herkunft und Ausbildung hatten sich Jill jedoch nicht viele Alternativen geboten – und S.T.A.R.S. schätzte immerhin ihre Fähigkeiten und scherte sich nicht darum, wie sie dazu gekommen war. Die Bezahlung war anständig, es gab den Thrill, an dem sie zunehmend mehr Gefallen gefunden hatte … Rückblickend betrachtet hatte ihr Jobwechsel dann doch überraschend einfach funktioniert – er hatte Dick glücklich gemacht und ihr erlaubt zu sehen, wie „die anderen“ lebten.
Dennoch, die Veränderung hatte sie härter mitgenommen, als ihr bewusst gewesen war. Zum ersten Mal seit Dick eingebuchtet worden war, hatte Jill sich wirklich
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