Resident Evil - Sammelband 03 - Im Netz der Verraeter
mehr ganz sicher. Als er in seine Tasche griff und einen Schlüsselbund hervorholte, konnte sie nur beten, dass er sich zum Besseren verändert hatte.
Wortlos zog er die Zellentür auf, und ausdruckslos begegnete er ihrem Blick, ehe er eine ruckartige Kopfbewegung zur Seite hin machte – das unverkennbare Zeichen für „Raus mit dir!“.
Bevor Claire der Aufforderung folgen konnte, drehte er sich um und schwankte davon. Wie er seine Waffe mit nur einer zitternden Hand hielt, ließ darauf schließen, dass er verletzt war. Zwischen dem Schreibtisch und der gegenüberliegenden Wand stand ein Stuhl. Schwer ließ er sich darauf nieder und nahm mit blutbefleckten Händen ein Fläschchen, das die Größe einer Zwirnrolle hatte, vom Schreibtisch. Er schüttelte es, bevor er es mit einer schwachen Bewegung und vor sich hin fluchend durch den Raum schleuderte.
„Großartig … “
Das vermutlich leere Fläschchen klapperte über den Betonboden und blieb vor der Zelle liegen. Müde blickte der Mann in Claires Richtung, seine Stimme klang erschöpft. „Na los. Scher dich endlich raus.“
Claire machte einen Schritt auf die offene Zellentür zu und zögerte. Sie überlegte, ob es sich um irgendeinen Trick handelte – vielleicht wollte er sie erschießen, während sie zu „fliehen“ versuchte, und der Gedanke schien ihr nicht allzu weit hergeholt, wenn sie bedachte, für wen er arbeitete. Sie entsann sich immer noch klar und deutlich des Ausdrucks in seinen Augen, als er ihr die Waffe vor das Gesicht gehalten hatte, das kalte Hohnlächeln, mit dem er seinen Mund verzog.
Sie räusperte sich nervös und entschied, nach einer Erklärung zu verlangen. „Was soll das Ganze?“
„Du bist frei“, sagte er und brummelte wieder vor sich hin, während er tiefer in den Stuhl rutschte und ihm das Kinn auf die Brust sank. „Weiß nicht, war womöglich irgendeine Spezialeinheit … Die Truppen wurden alle umgebracht … keine Chance zu entkommen.“ Er schloss die Augen.
Ihr Instinkt sagte ihr, dass er sie wirklich gehen lassen würde, aber sie wollte kein Risiko eingehen. Sie trat aus der Zelle und hob das Fläschchen auf, das er weggeworfen hatte, bewegte sich sehr langsam und beobachtete ihn aufmerksam, während sie sich ihm näherte. Sie glaubte nicht, dass er seine Verletzung nur vortäuschte. Er sah furchtbar aus, auf seiner dunklen Haut lag, wie durchsichtige Schminke, eine aschfahle Blässe. Er atmete auch alles andere als gleichmäßig, und seine Kleidung roch nach Schweiß und chemischem Rauch.
Sie besah sich das Fläschchen, eine leere Ampulle mit einem unaussprechlichen Namen auf dem Etikett. Auffallend war das klein gedruckte Wort hämostyptisch . Hämo war Blut … handelte es sich demnach um irgendeine Art von Blutungsstiller?
Vielleicht innere Verletzungen … Sie wollte ihn fragen, warum er sie freiließ, wie die Lage draußen war, wo sie hingehen sollte – aber sie sah, dass er kurz vor dem Zusammenbruch stand. Seine Augenlider flatterten.
Ich kann nicht einfach verschwinden, nicht ohne zu versuchen, ihm zu helfen …
Scheiß drauf! Geh, los! Hau ab!
Er könnte sterben …
Du könntest sterben! Renn um dein Leben!
Der innere Streit währte nur kurz, doch ihr Gewissen gewann, wie stets, über die Vernunft. Er hatte sie bestimmt nicht aufgrund persönlicher Sympathie herausgelassen, aber was immer auch der Grund sein mochte, sie war ihm dankbar dafür. Er hätte sie nicht laufen lassen müssen und tat es trotzdem.
„Was ist mit Ihnen?“, wollte sie wissen und fragte sich, ob es überhaupt etwas gab, das sie für ihn tun konnte . Sie konnte ihn ganz sicher nicht hinaustragen, und sie war keine Sanitäterin …
„Mach dir um mich keine Sorgen“, sagte er und hob den Kopf, um sie kurz anzusehen. Er klang fast verärgert darüber, dass sie es überhaupt angesprochen hatte.
Ehe sie ihn fragen konnte, was draußen passiert war, verlor er das Bewusstsein. Seine Schultern sackten nach unten, sein Körper rührte sich nicht mehr. Er atmete, aber wenn er nicht in ärztliche Behandlung kam, wollte Claire nicht darauf wetten, wie lange das noch der Fall sein würde.
Das Feuerzeug wurde heiß, aber sie ertrug die Hitze lange genug, um den kleinen Raum zu durchsuchen, angefangen beim Schreibtisch. Ein Kampfmesser lag achtlos hingeworfen darauf, ein paar Blatt Papier … Auf einem davon sah sie ihren eigenen Namen. Während sie die Messerscheide an ihrem Gürtel befestigte, überflog sie das Papier.
Claire
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