Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
sein, negative Emotionen und Informationen zu verdrängen, sagt Karena Leppert. Auf Dauer den Kopf in den Sand zu stecken, sei sicher schädlich, aber punktuell sei Verdrängen sinnvoll und ein wichtiger Schutzmechanismus. Gerade das kann helfen weiterzuleben. Wer in Phasen tiefer Trauer bald wieder nach vorne sieht und sich ablenkt, überwindet die Trauer schneller. Das zeigte eine Studie des amerikanischen Trauerforschers George Bonanno an älteren Menschen, deren langjähriger Ehepartner gestorben war. Trotz des Verlustes entwickelten jene Menschen, die sich auf das Positive in ihrem Leben konzentrierten, nur kurzzeitige und milde Trauersymptome. Auch sie gingen durch ein Tal der Tränen, aber sie schafften es dennoch, in ihrem Alltag weiter zu funktionieren und bald eine neue Lebensperspektive zu entwickeln.
»Gute Abwehrmechanismen zu haben, das heißt zwar: Auch mal mies drauf sein und es sich eingestehen«, sagt Karena Leppert. »Aber das heißt auch: Wenn es zu viel wird, einfach mal die Schotten dicht machen.« Wer resilient ist, hält quälende Erinnerungen, Nachrichten oder Sorgen von sich fern, bevor sie ihn zerstören.
Aber müssen diese Menschen Angst haben, dass sie die weggeschobenen Gefühle dann doch noch, irgendwann in der Zukunft, plötzlich übermannen? Nein, meint die Psychologin Tanja Zöllner, verdrängte Erinnerungen müssen nicht durchbrechen. Wenn die Suche nach Ablenkung, nach neuen Wegen die innere Wahrheit ist, dann ist das vollkommen in Ordnung, sagt sie. »Wenn Schwamm drüber auch wirklich Schwamm drüber ist, ist das okay.«
Für Menschen, die je nach Situation himmelhoch jauchzendoder zu Tode betrübt sind, mag das verführerisch klingen: einmal nicht so tief abstürzen, Krisen nicht in jeder Nuance durchleben müssen. Dafür, meint Tanja Zöllner, würden die Represser sich wohl tendenziell stetig im emotionalen Mittelfeld befinden. »Wer in Krisen weniger tief abstürzt, erspart sich zwar viel Leid. Er hat aber auch im Positiven oft nicht die Erlebnistiefe«, sagt sie. »Wer in Krisen dagegen tieftraurig und verzweifelt ist, der kann sich womöglich damit trösten, dass er auch Liebe und Glück besonders intensiv empfindet.«
Und wenn es allzu schlimm wird: Auch die Himmelhochjauchzend-zu-Tode-Betrübten können es durchaus lernen, dass sie nicht von jeder Widrigkeit in den seelischen Abgrund gezogen werden: »Das liegt auch an der eigenen Bewertung«, sagt Zöllner. »Man muss nicht in jeder Krise immer nur das Schlechte sehen.«
Am Unglück wachsen
Für irgendetwas muss es doch gut sein. Es ist ein so schöner Trost, und die meisten Menschen glauben fest daran: Wie schrecklich ein Unglück auch immer sein mag, am Ende hat es meist auch etwas Gutes. Bittere Erfahrungen – das erzählen die Alten, und das hat vielen Menschen auch schon ihre eigene Lebenserfahrung gezeigt – können mit der Zeit eine ungeahnte Süße entfalten.
»Es ist nicht so, dass ich glücklich bin, dass der schreckliche Unfall passiert ist«, erzählte eine Frau, die nach einem Autounfall nie wieder richtig gehen konnte, ihrer Psychologin. »Aber zum ersten Mal in meinem Leben nehme ich mir Zeit für mich selbst und dafür, was wichtig ist für mich. Ich gehe jetzt in Meditationsgruppen, und das gibt mir sehr viel.« Die Frau ist, wie viele Menschen, davon überzeugt, dass das persönliche Unglück eine positive Wendung in ihrem Leben ausgelöst hat: »Ich weiß das Leben jetzt auch viel mehr zu schätzen«, erzählt sie weiter. »Ich bin mir der täglichen Freuden stärker bewusst und bin dankbar für das, was ich noch habe.«
Das Phänomen, von dem viele Menschen nach einem tragischenUnglück berichten, fasziniert auch Psychologen. Wäre es nicht sogar die perfekte Ausprägung von Resilienz, wenn Menschen persönliche Katastrophen nicht nur gut verwinden, sondern am Ende sogar noch gestärkt aus ihnen hervorgingen? Ist das nicht das Ideal, das wir alle anstreben sollten: aus den Lehrstunden des Lebens die richtigen Folgerungen zu ziehen und das Gelernte mit Gewinn in unser Leben zu integrieren?
Es waren die amerikanischen Psychologen Richard Tedeschi und Lawrence Calhoun, die auf diesen Beobachtungen eine neue Forschungsrichtung gründeten: Wie viel Nutzen bringt der Schaden?, wollten sie wissen und erfanden auch gleich einen neuen Begriff: posttraumatic growth (kurz PTG), posttraumatisches Wachstum. Manche Fachleute sprechen auch von »persönlichem Reifen« oder von »thriving« (für
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