Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
nichts. »Sie waren passiv geworden und versuchten nicht einmal mehr zu entkommen«, erzählt Seligman. Auch sie hatten also Hilflosigkeit erlernt.
Und doch waren in der Gruppe der Hilflosen nicht alle gleich. Etwa jeder Dritte probierte – trotz seiner erfolglosen Versuche im früheren Experiment – noch einmal aus, ob es ihm denn diesmal nützen würde, auf den Knopf zu drücken. Für diese Leute, die nicht aufgaben, interessierte sich Seligman vor allem. Was war an diesen Unermüdlichen so außergewöhnlich? »Die Antwort ist Optimismus«, sagt er. Bei den Unermüdlichen handelt es sich um Menschen, die ihre Rückschläge als vorübergehend und veränderlich betrachten. In ihrem Innern sagen sie sich Sätze wie: »Es wird bald vorbei sein.« Oder: »Es ist nur diese eine Situation, und ich kann etwas daran tun.« Diese Menschen sehen die Ursache von Schicksalsschlägen im Verhalten anderer Menschen und suchen den Fehler eher nicht bei sich selbst. Und sie glauben fest daran, ihre Lage bessern zu können.
Den Hilflosen beizubringen, wie die Optimisten denken: Das hat sich Seligman seither zur Aufgabe gemacht. Denn deren Denkweise braucht man, um seine Widerstandskraft in psychischen Krisensituationen auszubauen. Wer sein Leid akzeptiert, aber zugleich fest daran glaubt, dass es vorübergeht, der entwickelt nicht so leicht eine PTBS oder eine Depression, sondern hat die Kraft, an den Umständen etwas zu ändern.
Jedes Jahr füllen die US-Soldaten im Rahmen des »Comprehensive Soldier Fitness«-Programms deshalb einen Online-Fragebogen aus, der ihre psychische Gesundheit erfasst. Darin sollen sie entscheiden, wie gut 105 Aussagen auf sie zutreffen. »In unsicheren Zeiten erwarte ich gewöhnlich das Beste«, ist einer dieser Sätze. Ein anderer lautet: »Wenn etwas schiefgehen kann, dann tut es das.« Die Auswertung zeigt den Soldaten am Ende, in welchen Bereichen ihre seelischen Stärken liegen und wo sie eher verwundbar sind. Die Ergebnisse sind vertraulich, werden aber anonymisiert vom Generalstab ausgewertet.
Diejenigen, um deren psychische Stärke es nicht zum Bestensteht, können sich professionelle Hilfe holen oder an Online-Schulungen nach Seligmans Vorgaben teilnehmen. Eine der zentralen Übungen, mit denen man den Optimisten in sich wecken kann, nennt Seligman »To Hunt the Good Stuff«. Das bedeutet so viel wie »den guten Stoff aufstöbern«. Das ist gar nicht so schwierig. Seligman empfiehlt, jeden Abend vor dem Zubettgehen drei Dinge aufzuschreiben, die am zu Ende gehenden Tag gut gelaufen sind.
Das funktioniere durchaus, bestätigt der Soldat Brian Hinkley. Der junge Mann war bei einem Auslandseinsatz in Afghanistan und fühlte sich dort furchtbar – vor allem, weil er und seine Kameraden so unerwünscht waren. Die Kinder in den Dörfern warfen Steine nach den Soldaten und spuckten auf sie. Aber es half Hinkley tatsächlich, den guten Stoff aufzustöbern, wie er einmal einem Reporter erzählte: »Die wenigen Menschen, die einen einladen und einem Brot anbieten und Chai, die gleichen die 50 aus, die Steine werfen und einen in die Luft sprengen wollen.«
Teil des Programms ist es auch, die Ausbilder in der Armee zu schulen. Statt ihre sowieso schon angeschlagenen Soldaten in Grund und Boden zu schreien, sollen sie ihnen eine positive Weltsicht vermitteln. Sie sollen ihnen erzählen, dass alle Menschen verletzbar und Angst und Trauer gesunde Reaktionen sind. Auch ermuntern sie die Soldaten, offen über ihre Schwierigkeiten zu sprechen. Es gibt immer schlechte Tage, lautet die Devise. Aber man kann versuchen, mit ihnen auf möglichst gute Weise umzugehen. So will die Armee langsam wegkommen vom Image der beinharten Marines, die durch nichts zu erschüttern sind.
Im Dezember 2011 legte die US Army einen ersten Bericht zum »Comprehensive Soldier Fitness«-Programm vor. Dazu wurden die Daten von acht Kampfbrigaden mit ihren jeweils mehreren tausend Mitgliedern ausgewertet; nur in vier von ihnen war das Programm bisher angewendet worden. Nach 15 Monaten erreichten die geschulten Truppen erheblich höhere Resilienzwerte als die übrigen, teilte die Army mit. Die Soldaten hatten eine größere emotionale und soziale Fitness entwickelt und dachten weniger selbstzerstörerisch. »Es gibtjetzt gründliche wissenschaftliche Belege dafür, dass CSF die Resilienz und die psychische Gesundheit von Soldaten verbessert«, kommentierten die Autoren um den Psychologen Paul Lester.
Auch den Soldaten gefiel das
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