Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Idee von einer Impfung gegen Stress setzt sich in der Resilienzforschung immer mehr durch. »Moderate Mengen an Stress können Resilienz fördern«, sagt die Psychologin Julia Kim-Cohen. »Sie stählen, sie machen zäh, sie ertüchtigen.« Allerdings dürfe der Stress nicht zu groß werden. »Werden unangenehme Lebensereignisse zu zahlreich und zu schwerwiegend, dann kann das eine Person überfordern und nicht zur Impfung gegen Stress, sondern zum Gegenteil führen.«
Das ist eigentlich ganz ähnlich wie bei echten Impfungen. Hier verwenden Ärzte schließlich auch eine moderate Zahl an Krankheitserregern, damit der Körper den Umgang mit ihnen erst einmal spielerisch lernen kann und nicht gleich einer vernichtenden Attacke ausgesetzt ist. So ist er vorbereitet, wenn eines Tages der Ernstfall einer echten Infektion mit vielen Vireneintritt. Wären zu wenige Viren oder Bakterien im Impfstoff, dann würde dieser nichts nützen; zu viele Krankheitserreger aber würden die Krankheit auslösen. Auch der Impfeffekt des Stresses »scheint daraus zu resultieren, dass man Erfahrungen sammelt, wie man effektiv mit Widrigkeiten umgeht«, sagt Julia Kim-Cohen.
Wissenschaftler haben solche Stressimpfungen inzwischen im Tierversuch gezielt eingesetzt. Schließlich kann man nur Tiere absichtlich in unangenehme Situationen bringen, die man dann später auswertet. Bei Menschen können Forscher, das ist leicht einsichtig, nur abwarten, wie das Leben ihnen mitspielt, oder sie nach längst vergangenen Ereignissen fragen. Die wenige Monate alten Totenkopfäffchen aber, die Verhaltensforscher um David Lyons für ihre Experimente benutzten, konnten keine Klagen wegen psychischer Grausamkeit einreichen. So wurden sie von den Wissenschaftlern immer mal wieder für kurze Zeit von ihrer Gruppe getrennt.
Dass sich das auf das Seelenleben der Affenkinder auswirkte, zeigte sich in späteren Experimenten. Allerdings waren die Folgen anderer Art, als mitfühlende Menschen zunächst annehmen mögen: Als die Tiere ein Jahr alt waren, setzten die Forscher sie in ein anderes Gehege, das die Affen erkunden sollten. Dabei waren die Tiere, die im Alter von wenigen Monaten auch mal allein zurechtkommen mussten, deutlich weniger ängstlich als Äffchen, die immer von ihren Müttern umsorgt worden waren. Auch konnten sie sich auf die neuen Situationen besser einstellen und fraßen ihr Futter mit mehr Appetit. Im Speichel der stressgeimpften Totenkopfäffchen fanden die Forscher signifikant geringere Mengen von dem Stresshormon Cortisol.
»Duckt euch nicht weg!«
Bei Menschenkindern scheint das nicht anders zu sein, auch wenn es sich weniger leicht untersuchen lässt. Eine besonders spannende Studie auf diesem Gebiet hat wieder einmal etwas mit Adoptionen zu tun. Und zwar untersuchte ein Team um den Pädagogischen Psychologen Mark Van Ryzin Kinder ausaller Welt, die von amerikanischen Eltern adoptiert worden waren. Sie verglichen deren Stressreaktionen mit Kindern, die immer bei ihren leiblichen Eltern in den USA gelebt hatten. Die Adoptivkinder teilten sie zudem in zwei Gruppen ein. Die einen hatten früh in ihrem Leben anhaltende Belastungen erfahren, da sie lange Zeit in Waisenhäusern verbracht hatten. Die anderen waren schon als Baby adoptiert worden – nach höchstens zwei Monaten im Heim. Zum Zeitpunkt der Studie waren alle Kinder zwischen zehn und zwölf Jahre alt.
Mark Van Ryzin machte einen überraschenden Fund: Das Schicksal der Kinder ließ sich an der Menge an Cortisol ablesen, das sie in Stresssituationen produzierten. Doch die Kinder, die als Babys adoptiert worden waren, hatten von allen Kindern die niedrigsten Stresslevel! Die behüteten US-Kinder gerieten dagegen genauso leicht unter Stress wie die Kinder mit der langen Waisenhaushistorie.
Dass ein bisschen Gegenwind im Leben etwas Gutes ist, gilt offenbar auch noch für Erwachsene, wie Befragungen ergeben haben. Menschen mit einer nicht ganz leichten Lebensgeschichte haben demnach eine bessere psychische Gesundheit als Menschen mit einem schwierigen oder allzu leichten Leben. Sie entwickeln seltener eine PTBS, haben weniger Angst und sind mit sich und ihrer Situation zufriedener, fasst der Psychologe Mark Seery seine Forschung zusammen. »Außerdem werden Menschen mit einem gewissen Maß an durchlittenem Elend auch weniger durch aktuelle Stressereignisse beeinträchtigt«, sagt er.
Die Alltagsweisheit »Was uns nicht umbringt, macht uns stärker« sieht auch der
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