Resteklicken
triumphierend über die Gesetze der Trägheit, lachend gegen die Gefahren der Straße – so weit zumindest die Theorie.
An einem warmen Junimorgen brettert der kleine Moritz also durch das Schultor auf den Hof (die drei Kilometer zur Schule hat er selbstverständlich mit der U-Bahn zurückgelegt), erblickt seine Angebetete und legt sich, nach ordnungsgemäßer Durchführung oben genannter Anleitungspunkte in der richtigen Reihenfolge, fröhlich auf den Rücken, sehr zur Belustigung der gleichaltrigen Mit-Monster, während sein kleiner rollender Gefährte mit unverminderter Geschwindigkeit weiter über den Asphalt klappert.
Mein ganzes Leben zog in diesem Moment an mir vorbei: ein verlorenes Tischtennismatch, ein frecher Junge im Kindergarten, eine Schublade voll Unterwäsche-Garnituren.
Alle haben sie über mich gelacht, wie ich da auf dem Schulhofboden wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag. Alle.
Ein paar Wochen später habe ich mir eine Meteors-Platte gekauft, die ich aber ziemlich schrecklich fand.
Und damit war das Kapitel Daniela dann auch beendet.
Jedenfalls für sie.
Im Wohnzimmer treffen wir Janine.
»Hi«, sage ich. »Lange nicht gesehen.«
Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
»Wie geht’s dir, Moritz?«, fragt Janine sofort.
»Wieso?«, frage ich zurück.
»Ich hab gehört, du bist nicht mehr mit Steffi zusammen.«
»Das ist richtig«, sage ich nach einer kurzen Pause.
»Oh«, sagt sie, »das tut mir leid.«
Ich greife ein mir unbekanntes Glas mit mir ebenso unbekanntem Inhalt vom Tisch und trinke es auf ex.
»Sag mal, studierst du eigentlich immer noch?«, fragt Janine, wahrscheinlich um vom Thema Steffi abzulenken. Trotzdem bleibt ihr Blick sehr mitleidig.
»Nein«, lüge ich. »Ich arbeite in einer Werbeagentur.«
»Echt?«, fragt Janine verblüfft. »In welcher denn?«
»Ist das da hinten nicht Marco?«, sage ich schnell. »Der da mit dem Vampir-Gebiss!«
»Kann sein«, sagt Janine ohne irgendein erkennbares Gefühl in der Stimme. »Wir sind schon lange nicht mehr zusammen.«
»Oh«, sage ich, »das tut mir leid.«
»Das muss es nicht«, antwortet sie.
Ich hasse Frauen.
Sie war doch bestimmt mindestens zehn Jahre mit Marco zusammen! Und jetzt ist ihr das EGAL ?! Wie geht denn SO WAS ?!
Gut, Marco ist jetzt auch kein wirkliches Premium-Produkt.
Wir haben ihm in der Schule den Spitznamen »Argo« gegeben, nach der Argo Merchant , dem katastrophenträchtigsten Schiff, das jemals gebaut wurde. Unser Biologielehrer hat uns damals die Geschichte von diesem seltsamen Unglücksdampfer erzählt. Das Schiff zog das Pech an wie ein Magnet. So wie Marco. Auf der Fahrt von Amerika nach Japan stieß die Argo Merchant einmal mit einem anderen Frachter zusammen, fing dreimal Feuer und musste immer wieder einen Hafen anlaufen, weil die Maschine ihren Geist aufgegeben hatte. Dann hat die Besatzung gemeutert, und ein Jahr später lief das Schiff vor Borneo auf Grund. Das wiederholte sich in den nächsten fünf Jahren dreimal. Zuletzt löste das Schiff vor der Küste Nordamerikas eine ziemlich grässliche Ölpest aus, bis es schließlich endgültig auf Grund lief.
Marco hat sich in sieben Jahren Oberschule dreimal den Arm gebrochen (im Übrigen immer denselben), ist einmal die Treppe runtergefallen und ein andermal gegen eine Vitrine gelaufen. Darüber hinaus hat er sich bei einem Chemie-Experiment die Haare am Bunsenbrenner entzündet und wäre beinahe mal an einem verschluckten Kaugummi erstickt. Außerdem bekommt er so langsam eine Glatze.
Ich glaube ja, dass Pech etwas Ansteckendes ist, so wie Grippe. Janine hingegen hält das für pure Spinnerei, sie behauptet immer, sie sei mit ihrem Leben total glücklich gewesen, auch in den sieben Jahren mit Marco. Allerdings arbeitet sie seit ihrem Uni-Abschluss im Wintergarten-Varieté und serviert Getränke und Knabberkram, nichts mit Psychologie oder was auch immer sie studiert hat. Ich für meinen Teil habe zumindest immer sehr sorgfältig darauf geachtet, dass »Argo« mich nicht berührt, und dass ich ihn ebenso nicht anfasse. Das hat die letzten Jahre auch ganz gut geklappt. Ich bin bei so was scheiß abergläubisch. Einmal habe ich beim obligatorischen Silvester-Bleigießen ein kleines Schwert von meinem Löffel gekratzt und war daraufhin der Meinung, dass mich jemand abstechen würde, also bin ich gar nicht mehr mit auf die eigentliche Party gegangen, von der mir jeder danach erzählt hat, dass das wohl die coolste Party
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