Resteklicken
Daniela sofort, obwohl sie irgendwie generalüberholt und runderneuert scheint. Sie muss mindestens fünfzehn Kilo abgenommen haben.
»Dani!«, sage ich. »Gut siehst du aus!«
Das letzte Mal habe ich Daniela vor etwa einem Jahr auf der Straße getroffen. Da sah sie noch aus wie ein Panzer. Schwer und angriffslustig. Ihr Gesicht war so aschfahl wie das ihres zehn Jahre älteren Mannes, dem auch eine Blutinfusion nicht mehr geholfen hätte, graue Haare, weiße Haut, ein richtiger Zombie und auch ansonsten wenig lebensfroh, irgendwas mit Versicherungen, glaube ich.
Daniela hat früh geheiratet, mit Anfang zwanzig, sie war sich ganz sicher, dass das halten würde. An besagtem Tag auf der Straße gingen die beiden allerdings schon in gehörigem Abstand nebeneinander her, und Händchen gehalten haben sie auch nicht mehr.
»Was eine Trennung so alles ausmachen kann«, sagt sie und lächelt mich an.
In der Tat, denke ich, sie hat sich ganz schön gemacht.
Und früher in der Schule hat sie ja auch noch nicht ausgesehen wie ein Panzer. Das kam erst später, mit den Schokoriegeln und ihrem Job im Öffentlichen Dienst.
Daniela hat sich die Haare abgeschnitten. Noch so ein Trennungs-Phänomen. Man möchte, nein, man MUSS sich einfach verändern! Frauen mit langen Haaren schneiden sich die ab. Was kurzhaarige Frauen und Skinhead-Mädels tun, weiß ich nicht, vielleicht verbrennen sie etwas beziehungsweise jemanden.
Ich selbst habe mich nach der Trennung von Steffi eigentlich gar nicht groß verändert. Außer dass ich zehn Kilo abgenommen, dunkle Ringe unter den Augen und ständig Sodbrennen vom Billigwein habe. Ich bezweifle, dass Steffi diese Änderungen gefallen würden.
Dani trägt ihr Haar jetzt mittellang, und mit roter Henna-Tönung ist es zum Glück auch vorbei. Das ist wohl ihre Naturhaarfarbe, dunkel, nicht ganz schwarz, aber fast, ein bisschen sieht sie aus wie Kate Beckinsale in »Underworld«, nur hat sie leider kein so enges Lederoutfit an.
»Du bist ja gar nicht verkleidet.«
»Vanessa hat mir nichts davon gesagt.«
»Jaja, die Nessa«, sage ich und meine »Blöde Fotze«.
»Schönes Kostüm«, sagt sie. »Ich bin mit Janine hier. Komm doch mit!«
»Okay«, sage ich und stehe auf.
Im gleichen Moment ruft irgendein Typ »Hey, Charlie, dein Schuh ist offen!«.
»Wer ist Charlie?«, fragt Daniela. »Bist du nicht einer von den Blues Brothers?«
In Daniela bin ich ziemlich verknallt gewesen, damals in der Siebten.
Sie hat in der Reihe vor mir gesessen, neben Janine, und sie hatte zu jener Zeit ein äußerst bizarres Hobby, nämlich das Sammeln von Blei- und Buntstiftabfällen, all den Müll, den man für gewöhnlich nach dem Anspitzen eines Stiftes in den Papierkorb zu werfen pflegt. Dani aber hat sich den in Klarsicht-Tüten abgefüllt und mit zu sich nach Hause genommen, ich habe bis heute keine Ahnung, warum.
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser verrückten Sache, ging sie mir nach ein paar Wochen Oberschule nicht mehr aus dem Kopf. Ich war plötzlich schrecklich verliebt in sie und habe von da an immer nur an sie gedacht. Und irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, mir ein Skateboard zu kaufen. Skateboards waren zu der Zeit ziemlich »in«. Und der Begriff »in« auch. Jedenfalls wollte ich Daniela unbedingt beeindrucken, denn sie hatte damals so einen Freundeskreis, der weitaus älter als sie und weitaus cooler als ich war. Das waren so Ted- oder Billy-Typen, die Bands wie The Clash und die Meteors hörten: Elvis-Tolle, Lederjacken, Ringe an den Fingern. Ich trug zu dieser Zeit noch sogenannte »Garnituren«, Unterwäsche-Absurditäten aus dem noblen Hause C&A , mit dem kleinen Palomino-Pferdchen auf dem Etikett. Also musste ich mir etwas einfallen lassen. Allerdings kam die Sache mit dem Skateboard irgendwie nicht so richtig an.
Nach etwa vier Wochen härtester Auseinandersetzung mit diesem rollenden Mistding beherrschte ich einen einzigen Trick, und den dann auch noch eher schlecht als recht: Man nehme den vorderen Fuß während der Fahrt vom Brett und drücke selbiges mit hinterem Fuß nach unten, das Ganze selbstverständlich in angemessenem Fahrttempo, also bei etwa achtzig Stundenkilometern. Das Skateboard schnellt in die Höhe, und man kann es im Flug an der vorderen Achse greifen. The Artist (formerly known as »Palomino-Prince«) hält seinen teuflischen kleinen Diener nun lässig in einer Hand, er selbst mit beiden Füßen wieder fest auf dem Boden stehend,
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