Resteklicken
Wattenmeer unterwegs. Und obwohl ich meine Jungs um mich habe, fühle ich mich einsamer als je zuvor. In meiner süffigen Wahrnehmung begleiten sie mich zu einem Schafott, auf dem mich eine extra-stumpfe Klinge erwartet. Während die drei aber locker nach Hause gehen dürfen, purzelt mein Kopf nach dem etwa zwanzigsten Guillotinenfallversuch schlussendlich in ein sehr kratziges Bastkörbchen.
»Wie weit ist es denn noch?«
»Relax, Meschi!«, ruft Max, der sich ein paar Meter vor mir an einem Baum festhält und anfängt zu pissen. »Wir sind gleich da!«
»Wenn wir ein Taxi genommen hätten, wie ich gesagt habe, dann … ach, scheißegal.«
Ich setze mich mitten auf den Bürgersteig und hole zum x-ten Mal mein iPhone raus.
Kein Lebenszeichen von Steffi.
Nichts.
Ich habe zwei oder drei Mal versucht, sie anzurufen, aber immer wollte mir eine unbekannte Computerdamenstimme weismachen, Steffi sei vorübergehend nicht erreichbar , hätte ihr Handy schlitzohrigst und bei vollster geistiger Gesundheit ausgeschaltet und läge jetzt wunschlos glücklich in den Armen von Arschfotzenkopf Silvio.
Gut, SO genau hat die Stimme es nicht gesagt, aber sie hat es gemeint, denn ich bin ja nicht blöd.
»Na, hat Steffi dir ’ ne Nachricht geschickt?«
»Nein, Dré, hat sie NICHT ! Aber hat deine Mutter deinem Vater endlich gebeichtet, dass sie seine Schwester ist?«
Ich kann kaum glauben, dass Steffi mich verarscht hat. Dass sie doch keine Gefühle mehr für mich hat. Dass ich nur ein kleines schwarzes Schaf auf ihrer FarmVille-Farm bin, das sie so schnell wie möglich loswerden will.
»Mann, Moritz, andere Mütter haben auch schöne Töchter!«
»Danke, Dré, ich versuch ’ s mir zu merken!«
Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, von so einer seelenlosen Phrase belästigt zu werden, auf die eigentlich mein Vater das Copyright hat, fängt es plötzlich auch noch an zu regnen.
»Fuck!«
Ich stehe auf und stelle mich neben Max unter den Baum.
»Alter, im Ernst, wo ist diese verkackte Party denn?!«
»Da drüben, du Schwachkopf!«
Er deutet entnervt auf ein Hochhaus am Ende der Straße.
»Ich hab doch gesagt, wir sind gleich da.«
Ich will mich gerade wieder etwas aufregen, da klingelt mein iPhone. Endlich!
»Hallo?! … Steffi?!«
»Herr Meschner? Reuter hier, BILD -Zeitung. Ich wollte nur noch mal nachfragen, ob …«
»Wer?«, frage ich verunsichert.
»Wir hatten gestern Abend schon mal miteinander telefoniert. Es geht um die Sache mit dem Mo…«
»Ich hab Scheiße gebaut, na und?! Ich war voll, und es war ein Unfall! Damit ist das Thema durch!«
»Das weiß ich doch, Herr Meschner. Oder darf ich Moritz sagen?«
»Auf keinsten!«
»Gut, gut, gut, dann bleiben wir eben weiterhin förmlich. Wissen Sie, es geht unseren Lesern eben auch um das Menschelnde, die Geschichte HINTER der Geschichte sozusagen, und da dachten wir …«
Ich lege auf und bemerke, wie ich leicht anfange zu hyperventilieren.
»Alles okay, Moritz?«
»Nichts ist okay«, japse ich und wische mir den kalten Regen aus meinem kalten Gesicht. »Ich brauch endlich was zu trinken!«
Es ist mal wieder Max’ Überredungskünsten und seiner seltsam glaubhaften Versicherung, wir würden uns alle »anständig benehmen«, zu verdanken, dass der Türsteher uns schließlich reinlässt. Die Tatsache, dass der Partyveranstalter ein Facebook-Freund von Max ist, dürfte auch geholfen haben. Jedenfalls schiebe ich mich mit ziemlich unvorteilhaften Gleichgewichtsstörungen vor zur Garderobe, an der mich eine griesgrämige fette Lesbe mit schwarzen, zurückgegelten Haaren und den Worten »Du hast aber schon ganz schön was getrunken!« empfängt.
»Ist das hier eine Party oder das Casting für › Mitten im Leben ‹ ?«
»Willst du mich anmachen?!«
In genau diesem Moment geht Max mit einem gekonnten »Heeey« dazwischen, bevor mir noch was anderes über die Lippen rutscht.
»Alles entspannt! … Meschner, du gibst jetzt deine Jacke ab, und dann trinken wir was!«
»Aber diese dumme …«
» JACKEABGEBENUNDTRINKEN ! Verstanden?!«
»Okay«, sage ich endlich.
Die Party verteilt sich über zwei Etagen und ist mehr als gut besucht. Allein im Erdgeschoss drängeln sich Hun derte von Studenten auf mehreren Tanzflächen zu Songs von Amy Macdonald, Madsen und Co., und unten im Keller gibt es noch zwei weitere Floors mit elektronischer Musik und daneben eine auf Disco getrimmte und in ein unheimliches Schwarzlicht getauchte Kegelbahn, auf
Weitere Kostenlose Bücher