Resturlaub
hoch zu mir.
»Sie haben kein Gepäck?«
»Ist Gepäck Pflicht?«
Irritiert schüttelte sie den Kopf. Dann fragte sie:
»Hin und zurück oder einfach?«
Das war in der Tat ein wenig schwieriger zu beantworten.
Ich atmete dreimal tief durch, dann sagte ich:
»Einfach.«
Mir blieben zwei Stunden Zeit bis zu meinem ersten Zubringerflug. Also kaufte ich mir eine weitere Dose Bier und ging zurück auf die Besucherterrasse, um den Brief an Biene zu Ende zu schreiben. Ich begann an der Stelle, an der ich vor einer halben Stunde aufgehört hatte:
Wenn du dies hier liest, dann bin ich in . Buenos Aires, Argentinien.
Doch die eigentliche Schwierigkeit begann ja erst. Wie um alles in der Welt sollte ich meine Flucht erklären? Schnell war mir klar, dass ich den dicksten Schlussstrich in der Geschichte der oberfränkischen Beziehungen ziehen musste. Für Biene und für mich. Ich musste in jedem Falle hart sein, ein richtiges Arschloch. Es würde ihr so leichter fallen, mich zu vergessen. Ein Wutanfall wäre allemal besser als Tränen. Ich musste irgendetwas Böses schreiben, etwas wo sie sofort dachte: >Wie? Und mit DEM Arsch war ich zehn Jahre lang zusammen?! <
Du hast es ja sicher bemerkt: Es ging einfach nicht mehr. Deine Kinderpläne, das Grundstück auf dem Land und auch mein Job bei Seppelpeter's. Mir fiel die Decke auf den Kopf, ich musste einfach gehen.
Meine liebe Biene, du bist eine wunderbare Frau und wir hatten wirklich schöne Jahre zusammen. Aber ich wäre dir in Zukunft kein guter Freund mehr gewesen, ich musste einfach geben. Entschuldige bitte, dass ich lügen musste am Flughafen, aber ich war zu schwach es dir persönlich zu sagen. Ich wurde nicht ausgeraubt, ich konnte einfach nur nicht mitfliegen nach Mallorca. Ihr hättet ohnehin nicht viel Spaß mit mir gehabt. Du musst dir keine Sorgen machen, mir geht es gut hier in Argentinien.
War das schon hart genug? Womöglich nicht. Aber immerhin war es ein Anfang. Ich nahm einen Schluck Bier und stellte mir vor, wie ich leben würde, in Argentinien. Das war ein bisschen schwer, weil ich so gut wie nichts von Argentinien wusste. Aber das war egal.
Ich habe mir ein Haus am Strand gemietet, du weißt schon, das, wovon ich immer geträumt habe. Ich kann die Wellen hören, wenn wir aufwachen und ich fühle mich zum ersten Mal frei im Leben. Ja, du hast richtig gelesen: wenn wir aufwachen. Ich bin jetzt mit Janine zusammen, sie studiert Germanistik in Buenos Aires und modelt nebenbei.
Ich wusste, alleine nach dem Satz würde mich Biene nicht mal mehr im Altersheim grüßen.
Was meinen Job bei Seppelpeter's angeht, denke ich mir, werden sie schon merken, wenn ich nicht mehr komme. Mein Fahrrad kannst du Arne geben, meine persönlichen Sachen werden meine Eltern abholen und die Wohnung, die gehört ja sowieso dir. Bitte versuche nicht, mich zu erreichen. Ich wünsch dir von Herzen alles Gute für die Zukunft. Tut mir leid, dass ich so gehen musste. Ich schreibe dir später mehr, versprochen.
Alles Liebe Dein Pitschi
Dann fiel mir noch eine Sache ein, die Biene treffen würde.
PS: Dein Chocolat-Filmplakat im Wohnzimmer fand ich immer hässlich. Und der Film war auch scheiße!
Ich steckte den Bogen in den Umschlag, beschriftete ihn mit unserer Adresse und klebte eine Briefmarke drauf. Dann drückte ich die Dose Bier zusammen, stand auf und warf sie in den dafür vorgesehenen Abfallbehälter. Ich war schon ein paar Schritte gegangen, da kehrte ich um, fischte die Dose wieder heraus und steckte sie genussvoll in den Behälter für Papier.
In der Abflughalle stand ich gute zehn Minuten vor dem Briefkasten. Erst dann warf ich den Brief mit zugekniffenen Augen ein.
JETZT war ich frei.
Ich musste nur noch dafür sorgen, dass die Dinge stimmten, die ich geschrieben hatte.
23 Anrufe in Abwesenheit
AUS DER LUFT sieht Buenos Aires aus, als habe jemand ein gigantisches, orangenes Lichternetz auf die Stadt geworfen. Schon bald wird sich meine Maschine durch eine der leuchtenden Maschen mogeln und mich absetzen in meinem neuen Leben. Ich hab viel nachgedacht in den letzten Stunden, mir versucht vorzustellen, was ich erleben werde, doch es liefen immer nur die gleichen Bilder ab in meinem Kopf: wie ich am Strand liege und das Meer rauschen höre, wie mich meine neuen Kollegen über Deutschland ausfragen und wie meine neue Wohnung aussieht. In jedem Fall hat sie bodentiefe Holzfenster, eine Dachterrasse zum Meer hin und eine offene Küche. Ich habe sogar
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