Resturlaub
reiche ihr die Hand. Sie ist so unfassbar geschmacklos gekleidet, dass man ein Foto von ihr in den » Bloß nicht ... !«-Teil aller Marco-Polo-Reiseführer drucken müsste. Ihre sicher noch in den 90ern erworbene Kuhjeans trägt sie auf Nabelhöhe und auf den paar Zentimetern darüber eine mit bunten Blüten- und Raubtierelementen bedruckte Bluse in Polyacryl-Qualität. Nach unten hin beendet ein Paar ausgetretener Tennisschuhe den modischen Totalausfall.
»I ben d' Heidi! I mach Bildungsurlaub!«
»Der Bidschi!«, sage ich, unüberlegterweise auch auf Schwäbisch.
»Bisch a aus Schdurgord?«
»Schlimmer! Aus Bamberg!«, scherze ich, woraufhin Heidi dermaßen laut loslacht, dass die bunten Raubtiere auf ihrer Bluse so stark vibrieren, als wollten sie aus ihrem Stoffgehege ausbrechen. Die zwei Briten haben inzwischen die Tür hinter sich geschlossen und vermutlich überlegen sie in dieser Sekunde, ob sie nicht auch noch den Tisch vor die Türe schieben und mit ein paar Sandsäcken fixieren. Ich schaue mich hilflos im Raum um, doch kein Einziger der anderen Schüler erklärt sich bereit, mich von der Schwäbin zu erlösen, dabei hätte ein einziger Augenkontakt gereicht.
»Hasch au Honger?«, fragt Heidi, als ich sie wieder anschaue.
»Ja«, sage ich, »bin aber schon verabredet, leider!«
»Des isch aber schad, mir hedda was zamma essa kenna!«
Ja. Hätten wir. Und genau das wird nicht passieren.
»Ich hab noch unglaublich viel zu erledigen, morgen vielleicht!«, rede ich mich raus und bereite meinen sofortigen Abgang vor. Doch sooo leicht komme ich nicht weg und zu allem Übel bemerke ich noch ein ermutigendes Lächeln der Info-Frau, die sich offenbar freut, dass sich die Deutschen so schnell gefunden haben.
»On, was machsch heid Obend?«
»Ich ... wir haben ein Essen in der Wohnung«, lüge ich, »ein typisch argentinisches!«
»On mir geha mit zwei Argentinier uffd Roll!«
»Ach was«, sage ich und noch bevor wir eine Diskussion darüber beginnen können, wer sich in den ersten 24 Stunden am besten integriert hat, rettet mich die Infofrau:
»Pitschi?«, ruft sie mich zurück zu ihrem Tisch.
»Yes!«, sage ich und erfahre zu meiner Überraschung, dass ich immerhin fortgeschrittener Anfänger bin, Nico mein Lehrer sein wird und ich am nächsten Tag um neun Uhr wiederkommen soll. Ich muss eine Art Vertrag unterschreiben und zahle 170 US-Dollar. Leider bleibt während dieser Zeit die Tür zum Büro der kleinen schönen Vanillefrau geschlossen.
Ein paar Minuten nachdem Heidi gegangen ist, stürze auch ich mich wieder in den Lärm der Straße. Doch es ist höchste Zeit, Biene zurückzurufen, um die Situation mit Keks zu klären. Schon als ich mein Handy aus der Tasche nehme, wird mir klar, dass ich auf der Straße unmöglich telefonieren kann, so laut ist es. Ein bunter Bus mit einer großen 78 donnert an mir vorbei, flankiert von einem guten Dutzend Taxis und mehreren Lieferwagen. Ein Krankenwagen mit der seltsamen »Lass uns mal ein paar Handyklingeltöne durchprobieren«-Sirene kämpft sich eine Straße weiter durch den Stau und der Verkehr reißt nicht ab. Ich stecke das Handy wieder ein. Es ist hier nicht nur unmöglich, sein eigenes Wort zu verstehen, ein einziger undeutsch klingender Krankenwagen zur falschen Zeit und ich fliege auf.
Ich muss mich durch gut zehn Blocks der unaussprechlichen Sprachschulstraße durch den Nieselregen gekämpft haben, als ich eine Art Internetcafe mit Telefonzellen entdecke. Locutorio steht drüber, sicherlich eine Kette. Ich trete ein und bekomme Kabine 17 zugewiesen. Als ich die Tür schließe, höre ich tatsächlich nichts mehr vom Straßenlärm. Ich zücke mein Notizbuch und rechne aus, dass es auf Mallorca nun 17 Uhr sein müsste. Soweit der einfache Teil. Der schwierige besteht darin, eine plausible Begründung zu finden, warum ich auch die nächsten drei Wochen nicht nach Mallorca komme und wer die fremde Frau am Handy war.
Ich schließe die Augen und denke nach. Nervös wähle ich Bienes Nummer. Der Verbindungsaufbau dauert eine Ewigkeit, dafür hebt sie schon nach dem ersten Klingeln ab:
»Mausbär!«, schallt es erleichtert aus dem Hörer.
»Schatz!«, sage ich und es fällt mir nicht mal schwer.
»Wer war das denn heute Mittag an deinem Handy?«
Ich hätte zehn Kästen Seppelpeter's Spezial's darauf verwettet, dass das Bienes erste Frage sein würde.
»Ja, genau deswegen rufe ich ja an«, sage ich, so souverän es geht, »aber ... ich will dich
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