Resturlaub
Nachdenken gebrauchen können.
Buenas Aires?
DIE GUT FÜNF ZENTIMETER auf meinem Time-Out Stadtplan entpuppen sich als halbstündiger Fußmarsch. Normalerweise gehe ich gerne zu Fuß, doch die südamerikanischen Lärmbomben, die von allen Seiten auf mich geworfen werden, machen jeden Block zur Qual. An einer Straßenecke verfehlt mich der bierkastengroße Außenspiegel eines bunten Busses nur um wenige Zentimeter. Kein Spaziergang ist das, sondern ein ganz heimtückischer Hindernislauf, vorbei an Maronenverkäufern, Schuhputzern und telefonierenden Teenagern. Ich frage mich, wo sie die Luft zum Plappern herbekommen, denn ich selbst habe gewaltige Schwierigkeiten mit dem Atmen. Normalerweise würde ich bei so einem Gestank die Luft anhalten, doch was soll das bringen, wenn es an jeder Ecke noch schlimmer wird. Als ich kaum noch Luft bekomme, kaufe ich mir in einer Apotheke ein Nasenspray mit den Worten nariz und problemas, was so viel heißt wie Nase und Probleme.
Und dann stehe ich plötzlich vor der breitesten Straße, die ich in meinem Leben gesehen habe, der Avenida 9 de Julio. Von der einen Seite bis zur anderen wäre genug Platz für ein Fußballfeld. Die Ampel auf der Gegenseite ist so weit entfernt, dass man nur mit Mühe erkennen kann, ob sie rot ist, grün oder kaputt. Die zwei winzigen Fußgängerinseln in der Mitte des Straßenmonsters wirken wie zwei Steine in einem reißenden Bach. Ich schlage meinen Stadtführer auf und stelle fest, dass ich diese Avenida auf jeden Fall überqueren muss, wenn ich zur Sprachschule will. Gut und gerne sieben Spuren vor mir liegt mein erster Zwischenstopp: eine Fußgängerinsel mit einer Ampel, die dem kühnen Passanten auf einer Digitalanzeige verrät, wie viele Sekunden es noch sind, bis er von der röhrenden Armada aus Taxen, Lieferwagen und Stadtbussen überrollt wird. Als die
Ampel auf Grün schaltet, gehen ich und drei Einheimische strammen Schrittes auf die Insel zu und erreichen sie mit einem Sicherheitspuffer von nur drei Sekunden. Wir schaffen die zweite mit sieben und die letzte sogar mit vier. Als wir die andere Straßenseite erreicht haben, will ich mich fast verabschieden von meinen argentinischen Kampfgenossen. Doch scheint die Avenida 9 de Julio für sie belangloser Alltag zu sein und kein verkehrstechnisches Vietnam wie für mich. Von der breitesten Straße der Welt biege ich in die unaussprechlichste Straße der Welt ab: Hipolito Yrigoyen. Es ist mir unerklärlich, wie man eine Sprachschule in einer so schwer auszusprechenden Straße eröffnen kann. Tango 1 oder Gaucho 2, das wären geeignete Adressen für argentinische Sprachschulen. Zu allem Überfluss liegt »Multilingua« an der Ecke Bernardo de Irigoy-en, also Hipolito Yrigoyen Höhe Bernardo de Irigoyen. Ein Taxi, das ist mir jetzt schon klar, werde ich mir nie hierher nehmen können. Ich erreiche das Sprachschulgebäude, einen grauen, gut achtstöckigen Altbau mit schmalen, langen Fenstern und vielen Schildern an der Tür. Auf einem steht »Multilingua«. Ich drücke die schwere Holztür auf, gehe hinauf, befinde mich sofort in einem winzigen Büro mit hohen Decken, drei Schreibtischen und zwanzig Menschen, die alle kreuz und quer laufen. So wie mein Schlafzimmer hat auch dieser Raum statt Fenstern nur kalt flirrende Neonröhren. Eine junge, rothaarige Frau, die aussieht wie eine irische Touristin und am ersten der drei Schreibtische sitzt, begrüßt mich.
jHola! iEn que te puedo ayudar?
Weil ich annehme, dass sie mich gefragt hat, was ich hier will, sage ich, dass ich Peter heiße und Spanisch lernen will:
»Me llama Peter y quiero aprender espanol!«
»Llamo!«, verbessert mich die irische Touristin.
»Me llamo Peter. ^Y tu?«
»jVos!«
»Was?«
»jIgual! Forget it!«
Ich finde, wenigstens am Infotisch einer Sprachschule sollte man den Umstand akzeptieren, dass ich nur aus einem einzigen Grund hier stehe: weil ich die Sprache erst lernen muss! Noch während ich über all dies nachdenke, werde ich von der rothaarigen Infofrau in einen Raum mit Fenster führt. Sie spricht dabei die ganze Zeit Spanisch, wobei es ihr egal zu sein scheint, ob ich sie verstehe oder nicht. Dann reicht sie mir ein Wasser, einen Kugelschreiber und einen dreiseitigen Einstufungstest.
»We want to see what level you are!«, bekomme ich freundlich und netterweise auf Englisch erklärt.
»Beginner!«, sage ich, weil ich selbst ganz gut weiß, what level I am, und schrecklich gerne um den Test herumkäme, doch
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