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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne de Pierres
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servierte eigentlich das Essen? Eben hatte sie nicht darauf geachtet, doch nun, da sie genauer hinsah, bemerkte sie ein kleines pelziges, graues Wesen mit einer Kelle in der Pfote.
    Sie stieß Suki an. »Was ist das?«
    Suki blinzelte ein paarmal, bevor sie antwortete. »Das muss ein Uther sein. Charlonge hat mir gesagt, dass man sie leicht übersieht. Es ist, als wären sie unsichtbar, wenn man sich nicht wirklich darauf konzentriert.«
    »Das hat sie dir gesagt?«
    »Ja. Ich hatte tausend Fragen, aber sie hat mir nur auf ein paar wenige geantwortet.«
    »Mir auch«, sagte Retra.
    Als sie einen freien Tisch gefunden hatten und aßen, hatte Retra plötzlich Mitleid mit Charlonge. Wie viele Ausreißer hatten ihr wohl die immer gleichen Fragen gestellt? Wie oft hatte sie schon dieselben Antworten geben müssen? Und trotzdem hatte sie Geduld mit Retra gezeigt und war stets freundlich gewesen.
    Suki saugte die letzte Linguine von ihrer Gabel, wobei sie sich das Kinn mit Soße bespritzte. »Gutes Futter«, sagte sie und wischte sich das Kinn mit dem Handrücken ab.
    Retra gab sich Mühe, nicht zusammenzuzucken. Sie fragte sich, wie Sukis Zuhause wohl sein mochte. Vater hätte solche schlechten Manieren nicht durchgehen lassen.
    Charlonge kam herein und umkreiste die Tische wie eine Aufseherin im Schlafsaal. Bei Retra blieb sie nicht stehen, um mit ihr zu sprechen, doch ihr Blick ruhte ein wenig länger als nötig auf ihr.
    »Man sagt, sie sei schon seit einer Ewigkeit hier«, sagte Suki, die Charlonge beobachtete. »Dass sie die Älteste in Vank ist und lange weg sein sollte.«
    »Weg?«
    Suki schnitt ein Gesicht. »Wusstest du denn gar nichts über diesen Ort, bevor du hierhergekommen bist?«
    »Eigentlich nicht«, sagte Retra.
    »Wenn die Riper befinden, dass du zu alt bist, um hierzubleiben, dann bringen sie dich woanders hin. Sie nennen es Abzug.«
    Retra spürte eine leichte Panik in sich aufsteigen. Charlon ge sah aus, als wäre sie ungefähr genauso alt wie Joel. Was, wenn Joel schon abgezogen worden war? »Und wo wird man dann hingebracht?«
    »Das weiß niemand wirklich. Die Riper sagen ja, es wäre so eine Insel wie diese hier. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube eher, sie fahren dich einfach raus zum Eingang der Spirale und lassen dich dann gehen.«
    Retra nahm ihren Teller und den Kelch und sah sich nach einer Möglichkeit um, sie abzuwaschen.
    »Meine Güte«, zischte Suki. »Lass das, Retra. Das machen die Uther.«
    Retra sah die anderen an den umliegenden Tischen spöttisch grinsen.
    »Kapier das doch endlich«, sagte Suki. »Den Mist musst du hier nicht machen. In Ixion geht es nur um Spaß und Partys. Lass uns jetzt schnell zur Beichte gehen und sehen, dass wir hier rauskommen.«
    Beichte? Retra ließ den Teller fallen. Das Klappern weckte die Aufmerksamkeit eines der Riper. Am liebsten wäre sie vor seinem bohrenden Blick weggerannt, doch sie ließ sich nichts anmerken, sondern stand einfach auf und verließ mit ebenso beschwingtem Schritt wie Suki den Speisesaal.
    Der kreuzförmige Hauptraum der Kirche war nun voller Menschen. Retra hielt den Atem an und hielt unwillkürlich nach Joel Ausschau.
    Was, wenn er hier ist? Jetzt.
    Suki nahm ihre Hand und zeigte auf die Schlange vor dem Beichtstuhl. »Dort drüben.«
    »Was sollen wir denn beichten, wenn wir tun dürfen, was wir wollen?«
    Suki zuckte mit den Schultern. »Komisch, ne? Aber so hat man es uns gesagt. Vielleicht gehört das mit zur Reinigung. Wie die Wiedergeburt.«
    Ganz vorn in der Schlange entdeckte Retra Cal. Sie war als Nächste dran.
    Auch Suki hatte sie gesehen. »Die da.« Suki zeigte hinter vorgehaltener Hand auf Cal. »Die hasse ich jetzt schon.«
    »W-war sie gemein zu dir?«
    Suki lachte. »Nö. Aber sie tut so, als würde der Typ mit der Gitarre ihr gehören. Und der ist soooo heiß. Warum sollte sie ein Vorrecht haben?« Sie zeigte mit dem Finger zu der größeren Apsis, wo der Gitarrist immer noch auf dem Altar saß, von hinten beleuchtet durch den Schein der Buntglaslampen.
    Als sie ihn erkannte, beschleunigte sich ihr Puls. »Sein Name ist Markes.«
    »Kennst du ihn?« Sukis Augen leuchteten auf.
    »Nur flüchtig. Mehr nicht. Von der Fähre.«
    »Du bist mit einer Fähre gekommen?«
    Retra dachte daran, wie sie mit schmerzendem Bein aus der Seal-Anlage geflüchtet und mit dem Mut der Verzweiflung auf die Fähre gesprungen war. »Warum? Wie denn sonst?«
    »Hast du schon mal ein Surren in der Luft gehört?«
    Retra nickte.

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