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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne de Pierres
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halbsterblicher Sohn sein. Passt zu ihm, findest du nicht?« Sie sah sich um. »Das machen die Uther richtig gut. Komm, wir gehen.«
    Retra rappelte sich auf, um ihr zu folgen, und ließ Markes mit seinem Publikum zurück.
    Draußen lagen fremde Laute in der Luft, nicht die Eulenrufe, die Retra in Grave gehört hatte. Diese waren kehliger, tiefer.
    Der Aufstieg zum Bahnsteig kam ihr endlos vor, weiter und weiter stieg die Treppe vor ihnen auf. Sie packte das Geländer mit beiden Händen und ließ sich von dem festen Eisen leiten.
    »Wie fühlst du dich jetzt?«, fragte Suki, als sie oben angekommen waren. Sie hatte Retras Arm fest umfasst und hielt sie vom Rand des Abgrunds fern, der neben ihnen drohte.
    »Mir ist schwindlig.«
    »Eigentlich soll man die Pastille stückchenweise über eine ganze Woche zu sich nehmen – oder wenigstens über ein paar Tage verteilt.«
    »Woher weißt du das?«
    »Modai hat es mir gesagt. Außerdem sagt einem das schon der gesunde Menschenverstand. Das ist so wie mit den Kieselalgen, die wir zu Hause als Medizin nehmen. Die Sachen machen dich wirr. Zu viel davon, und du isst Rattenmägen und glaubst, es wäre süßer Stachelbeerkuchen.«
    Retra starrte zum dunklen Rand des Bahnsteigs hinüber. Auch jetzt lockte er sie wieder, aber auch dieses Mal widerstand sie. »Ich glaube, ich setze mich mal.« Sie schwankte zu einer Bank und war froh um das harte Holz, das sie unter sich spürte. »Ich fühle mich immer noch seltsam. Nicht wie ich selbst.«
    »Na, da du schon jemand anders bist«, sagte Suki und machte ein paar Tanzschritte über den Bahnsteig, »lass uns doch feiern gehen.«

7
    Suki erzählte von ihrer Heimat, während die Gondel wieder auf die Hauptlinie und die Vorderseite des Kraters hinaufkurvte. Die Füße auf den Sitz gelegt plauderte sie munter und bewunderte dabei die Verzierungen aus Leder und Spitze an ihren neuen Stiefeln.
    »Der Name meiner Stadt ist Stra’ha. Es ist die am höchsten liegende Stadt auf dem Stra’haman Üfad vor dem Höhenweg zu den Gebirgszügen. Es ist so langweilig dort, außer in den Höhlen. Da gibt es Millionen von Drakulinen.« Sie machte ein verschmitztes Gesicht und zog eine Augenbraue hoch. »Einmal habe ich mit einem Jungen aus den tieferen Städten einen Pakt mit Drakulinblut geschlossen. Er kam mit seinem Vater, um den Frauen Waffen zu verkaufen.«
    »In Grave benutzen Frauen keine Waffen. Uns ist es nicht erlaubt … an Gruppenaktivitäten teilzunehmen.« Retra hörte ihre Stimme, die vernünftige Dinge sagte, und gleichzeitig war ihr, als kämen die Worte aus einem anderen Mund. Ihr Körper und Geist arbeiteten ganz so, als wäre sie noch sie, doch ihre Phantasie wanderte. Wenn sie hinaus in die Nacht blickte, flossen die Farben in ihrem Hinterhirn ineinander, und Geräusche verdichteten sich zu Klumpen, die sie kauen und zermalmen wollte.
    »Grave. Ja, davon hat mir ein Junge bei der Wiedergeburt erzählt. Ein niedlicher Rothaariger. Klang irgendwie alles seltsam und erstaunlich. Er sagte, ihr dürftet euch nicht in Gruppen unterhalten, für den Fall, dass ihr mal außer Kontrolle geratet. Ihr dürft nicht tanzen oder Musik spielen. An manchen Orten sei es sogar noch schlimmer – da wird kaum gesprochen.«
    Retra nickte nur, weil sie nicht zugeben wollte, dass sie genau dort herkam.
    »Wie dem auch sei, in Stra’ha wohnen nur Frauen. Ausschließlich. Die Männer kommen mit der Höhe nicht klar. Dadurch werden die Spermien steril. Um sich fortzupflanzen, müssen die Frauen in die tieferen Städte gehen, aber sie kommen immer wieder nach Stra’ha zurück. Sie müssen die Männer vor den Plünderern schützen, die im Sommer über die Berge kommen, sonst würde unser Volk aussterben.«
    »Die Frauen beschützen die Männer?«
    Suki sah sie an. »Na klar! Ist das bei euch denn anders?«
    »Bei uns zu Hause trifft mein Vater alle Entscheidungen.«
    »In Stra’ha brauchen wir die Männer wegen ihrer Spermien, ansonsten …. pffft.«
    Retras Wangen wurden heiß bei dem Gedanken. »Warum bist du dann hierhergekommen?«
    »Wie ich schon sagte … ich habe mich gelangweilt. Und Liam … der Junge, mit dem ich Blut getauscht habe, kommt auch hierher. Wir haben uns verabredet.«
    »Und ist er schon da? Hast du ihn gesehen?«
    »Er kommt noch, bestimmt. Jemanden, dem man ein Ehrenwort mit Drakulin-Blut gegeben hat, kann man nicht anlügen.« Doch für einen Augenblick wirkte Suki unsicher.
    Sie schwiegen eine Weile. Retra bewunderte eine paar

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