Rette meine Seele - Vincent, R: Rette meine Seele
bedeutet nicht, dass du es ausprobieren sollst, Kaylee“, sagte sie warnend. „Die Unterwelt ist gefährlich, besonders für Banshees, und du darfst nur im äußersten Notfall hingehen!“
„Und was, wenn ich muss? Wenn es einen Notfall gibt?“ Nach einer kurzen Pause erwiderte ich ihren Blick mit einer Mischung aus Neugier und Angst. Als wäre ich neugierig darauf, mehr zu erfahren, hätte aber gleichzeitig Angst davor, das Wissen tatsächlich anzuwenden. Was durchaus stimmte; meine Angst war groß genug, ihrem strengen Blick standzuhalten. „Es funktioniert genauso, wie wenn man hineinschaut, oder?“
„Das stimmt.“ Sie griff nach ihrem Glas und lehnte sich zurück. Wie sie so dasaß, mit untergeschlagenen Beinen, sah sie eher aus wie zwanzig und nicht wie zweiundachtzig. „Die Absicht macht den Unterschied. Wenn du den Schrei absichtlich hervorrufst – so wie du es am Sonntag geübt hast –, aber mit dem Wunsch, die Unterwelt zu betreten und nicht nur hineinzuschauen, dann kannst du die Grenze überschreiten.“ Sie stellte das Glas ab und setzte sich gerade hin, wie um die Bedeutung ihrer nächsten Worte zu unterstreichen. „Esist schon fast erschreckend einfach, Kaylee. Viel wichtiger ist, dass du lernst, nicht aus Versehen dort zu landen, wenn du nur einen Blick riskieren willst. Denn wenn du einmal dort gewesen bist, vergisst dein Körper nie, wie es geht. Und manchmal scheint er dorthin zu wollen, auch wenn es keinen Grund dafür gibt.“
Das ist jetzt echt unheimlich. Ich fröstelte.
„Und deshalb versuchen wir es erst gar nicht.“ Harmony setzte ihr übliches freundliches Lächeln auf. „Genug der Theorie für heute.“
Ich nickte instinktiv, dabei hätte ich ein bisschen praktische Erfahrung gut gebrauchen können. „Und wie kommt man wieder zurück? Indem man schreit und sich nach Hause zurückwünscht?“
„Ja. Aber diese Information ist nur für Notfälle bestimmt, Kaylee. Das möchte ich noch einmal betonen.“ Sie musterte mich prüfend. „Komm nicht auf die Idee, in der Unterwelt auf Sightseeingtour zu gehen. Du strahlst vor Kraft und Lebensfreude, und das lockt die Unterweltbewohner an.“
Oh nein, es wird noch unheimlicher …
„Keine Angst.“ Ich lächelte sie beruhigend an. „Ich bin garantiert nicht auf der Suche nach Ärger.“ Aber der Ärger war anscheinend ständig auf der Suche nach mir …
„Ich weiß.“
Einige Zeit lang saßen wir schweigend da und lauschten den gedämpften Kampfgeräuschen aus Nashs Zimmer. Was ich gerade erfahren hatte, trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Aber eine Information fehlte mir noch, das letzte Puzzleteil. Also setzte ich alles auf eine Karte.
„Wenn du in die Unterwelt gegangen bist, um zu testen, ob euer Haus sicher ist, dann hat Dad bestimmt dasselbe gemacht,oder? Die Unterwelt von unserem Haus aus betreten, meine ich.“
Harmony grinste so breit, als hätte ich sie gerade gebeten, mir den kleinen Unterschied zwischen Männern und Frauen zu erklären. „Nicht ganz“, erwiderte sie lächelnd. „Dein Dad kann nicht alleine in die Unterwelt gehen. Also habe ich ihn mitgenommen. Menschen und Bansheemänner schaffen es ohne den Gesang einer Bansheefrau nicht in die Unterwelt.“
„Ach so!“ Ich riss in gespieltem Erstaunen die Augen auf, obwohl Todd mir das bereits erzählt hatte. „Und was passiert, wenn es einen Notfall gibt und wir wegmüssen? Wie schaffe ich es dann, Dad mitzunehmen?“
Ich hätte nie mit einer Antwort gerechnet. Wirklich nicht. Und ich bekam wahrscheinlich auch nur deswegen eine, weil es ihr leidgetan hätte, mir mit der Vorstellung, meinen Vater eines Tages in einem brennenden Haus zurücklassen zu müssen, einen Schrecken einzujagen.
„Du musst ihn nur festhalten, wenn du hinübergehst. Dann kommt er automatisch mit. Genauso läuft es mit Gegenständen, die du in der Hand hältst oder anhast. Du stehst ja nicht plötzlich splitternackt in der Unterwelt“, erklärte sie lachend, und ich stimmte in das Lachen ein, um zu zeigen, dass sie mich nicht komplett verstört hatte.
„Seid ihr bald fertig?“ Nash war im Flur aufgetaucht und klopfte demonstrativ auf seine Armbanduhr. „Es ist schon fast halb fünf. Wann musst du zu Hause sein?“
„Dad ruft bestimmt gleich an und fragt, wo ich stecke. Damit ich ja keinen Spaß habe oder mich wie ein ganz normaler Teenager benehme.“ Ich stand auf und schnappte mir meinen Rucksack.
„Mach es deinem Vater nicht so schwer.“ Harmony war
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