Rette meine Seele - Vincent, R: Rette meine Seele
vor uns lag, erschien mir plötzlich nicht mehr so schlimm. Mit Nash an meiner Seite konnte ich alles schaffen.
Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. Nash stöhnte gequält auf. „Dein Dad?“
„Wahrscheinlich.“
Er sank in sich zusammen, und unter seinem Gewicht konnte ich mich nicht bewegen. Aber das wollte ich auch gar nicht – ich wollte nicht, dass er aufstand. Doch uns blieb nichts anderes übrig. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, schob Nash sich von mir herunter, bis er auf dem Boden saß, die Hand aufmeinem Bauch. Ich tastete über dem Kopf nach dem Telefon und versuchte, mich dabei so wenig wie möglich zu bewegen. „Hallo?“, fragte ich in den Hörer.
„Du bist also zu Hause“, sagte mein Vater. Im Hintergrund war metallisches Klappern zu hören.
„Sonst wäre ich wohl kaum ans Telefon gegangen, oder?“, erwiderte ich und bereute meinen schnippischen Tonfall sofort. Ich hatte ihn nicht anschnauzen wollen, aber sein Anruf kam wirklich äußerst ungelegen.
„Ist Nash auch da?“ Er klang gekränkt.
„Er hat mich nach Hause gebracht.“
Dad seufzte und sagte dann ganz laut: „Geh nach Hause, Nash!“
Nash machte ein finsteres Gesicht. „Ich war gerade dabei.“
„Und grüß deine Mom von mir.“ Bis auf die Hintergrundgeräusche herrschte Stille in der Leitung, und mir wurde klar, dass Dad so lange warten würde, bis Nash weg war.
„Na schön.“ Nash stand auf und drückte mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Mehr traute er sich nicht, auch wenn Dad nur per Telefon anwesend war. „Bis später, Kaylee.“ Schon war er zur Tür hinaus.
„Bist du jetzt zufrieden?“, schnauzte ich in den Hörer, und diesmal bereute ich meinen Ton keine Sekunde.
„Nein, Kaylee, das bin ich nicht“, antwortete er leise. „Ich werde um halb acht zu Hause sein und Essen mitbringen. Möchtest du was vom Chinesen?“
Ich musste mir auf die Zunge beißen, damit ich nichts sagte, was ich später bereuen würde. Wenn auch erst viel später. „Gebratenen Reis mit Shrimps, bitte. Soll ich anrufen?“
„Das wäre nett, danke.“
Nachdem er aufgelegt hatte, blieb ich noch einen Momentsitzen und starrte vor mich hin. Wenn es doch nur möglich gewesen wäre, Addys Seele zu retten und mich mit Dad zu verstehen. Aber bis jetzt schloss sich das gegenseitig aus. Zum Glück war in ein paar Stunden alles vorbei und ich konnte wieder ins normale Alltagsleben zurückkehren.
Vorausgesetzt, ich überlebte die kommende Nacht.
15. KAPITEL
Dad schloss genau vierundzwanzig Minuten nach sieben die Haustür auf und hielt eine weiße Papiertüte unterm Arm. Er roch nach Metall und Schweiß und sah müde aus. Schrecklich müde. Sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen.
Nach dem Tod meiner Mutter hatte mein Vater mich in der Obhut seines Bruders gelassen und war nach Irland gezogen, um den Pub zu führen, der seinen Eltern gehört hatte. Er verdiente ganz gut, doch das meiste Geld ging für meinen Unterhalt und das Sparkonto für die College-Ausbildung drauf. Bei seiner Rückkehr in die USA hatte er nichts bei sich getragen außer einem Koffer und gerade so viel Bargeld, um die Kaution für eine Mietwohnung und ein zweites gebrauchtes Auto zu bezahlen. Ich fuhr den Gebrauchtwagen, den er mir zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte.
Jetzt schuftete er den ganzen Tag in einer Fabrik und machte so viele Überstunden wie möglich, weil er zumindest ungefähr so viel Geld verdienen wollte wie sein Bruder.
Mir war das Geld egal. Je mehr Geld die Leute haben, umso gieriger werden sie. Und ich mochte unsere Secondhandmöbel. Es kümmerte nämlich niemanden, ob ich einen Fleck reinmachte. Und deshalb konnte ich in aller Ruhe vor dem Fernseher sitzen und naschen. Leider bestand mein Vater darauf, jeden Tag gemeinsam mit mir zu Abend zu essen. Unser wackeliger Küchentisch war so etwas wie der Zauberstab, den er schwenkte, um uns in eine richtige Familie zu verwandeln. Doch an manchen Abenden verhagelte der ganze Hokuspokus uns beiden einfach nur die Laune.
Trotzdem gab Dad sich alle Mühe …
„Ich habe außerdem frittierte Teigtaschen mitgebracht.“ Erstellte die fettverschmierte Tüte auf den Tisch und schälte sich aus der Jacke.
„Danke.“ Ich stand auf Teigtaschen. Dad hatte nur selten Zeit zu kochen und kannte deshalb bei jedem Lieferservice mein Lieblingsgericht. Nachdem mich Tante Val dreizehn Jahre lang bekocht hatte, war mir ziemlich schnuppe, ob ich je wieder etwas Gesundes zwischen die
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